In Myanmar geht das Licht an Ein neues Energiesystem soll den Wirtschaftsaufschwung fördern. Dabei setzt man in dem südostasiatischen Land verstärkt auf Erneuerbare.

Energiewende? Nicht nötig! In Myanmar besteht die Chance, gleich von Anfang an alles richtig zu machen. Nur 26 Prozent der Bevölkerung haben Strom, oder anders gesagt: 45.000 Dörfer warten noch darauf. Die dringend notwendige und politisch gewollte Elektrifizierung des südostasiatischen Landes bietet die seltene Möglichkeit, alte Technologien zu überspringen und direkt eine dezentrale, nachhaltige Infrastruktur aufzubauen.

Kabelsalat in Rangun. ©Foto: Jen Leung
Kabelsalat in Rangun. ©Foto: Jen Leung

Myanmar, auch unter den Namen Burma und Birma bekannt, lag jahrzehntelang im Dunkeln – buchstäblich, politisch und wirtschaftlich. Die Militärdiktatur, die ab 1962 herrschte, hat das Land fast fünfzig Jahre lang abgeschottet und heruntergewirtschaftet. Umfassende Sanktionen, die der Westen aufgrund von Menschenrechtsverletzungen verhängt hatte, verhinderten zudem fast jeglichen Handel und ausländische Investitionen.

Als die Industrialisierung Asien erreichte, als die großen Nachbarn Indien und China einen spektakulären Boom erlebten, als Entwicklungsländer zu „Tigerstaaten“ wurden, passierte in Myanmar nichts. Im Index für menschliche Entwicklung der Vereinten Nationen liegt das Land auf Platz 149 von 187 berücksichtigten Ländern. Das Bruttonationaleinkommen pro Einwohner beträgt 1817 US-Dollar im Jahr. Im Durchschnitt gehen die Myanmaren vier Jahre ihres Lebens zur Schule.

Doch jetzt sehen sie Licht, und auch die Welt sieht Licht in Myanmar. Seit 2011 gab es unerwartete, umfassende Reformen. Der zivile Präsident Thein Sein führt sein Land auf einem Weg zu Demokratie, Freiheit und Entwicklung. Der Weg ist sehr weit. Es gibt auch Rückschritte. Doch Myanmar kommt voran. Zur Belohnung hat der Westen nahezu alle Sanktionen aufgehoben. Ausländische Regierungschefs geben sich in der Hauptstadt Naypyidaw die Klinke in die Hand, und im Mai war Thein Sein als erster Präsident seines Landes seit fast 50 Jahren im Weißen Haus zu Gast.

Den Politikern folgen die Wirtschaftsdelegationen; neben zahlreichen Botschaften öffnen Handelsvertretungen. Derzeit ist es kaum möglich, in der größten und wirtschaftlich bedeutendsten Stadt Rangun, die bis 2005 Hauptstadt war, ein Hotelzimmer zu bekommen. Alle wollen dabei sein, wenn einer der letzten unerschlossenen Märkte in Asien sich öffnet, alle wollen ein Stück vom Kuchen abbekommen. Und sie sind willkommen: Geld, Technologie und Know-how von außen sind für den Aufschwung unerlässlich.

Im November vergangenen Jahres wurde die Grundlage für ausländische Investitionen durch ein Gesetz geschaffen. Anreize beinhalten unter anderem fünf Jahre Steuerfreiheit, zollfreie Importe und weitere Steuererleichterungen. Im Moment findet noch eher ein Erkundungs- als ein Investitionsboom statt – doch die Welle rollt an.

Berechnungen des McKinsey Global Institute (MGI) zufolge, das im Juni einen Bericht über die Wirtschaft in Myanmar veröffentlicht hat, kann das Bruttoinlandsprodukt mit den richtigen Weichenstellungen jährlich um acht Prozent wachsen und die Wirtschaftskraft des Landes bis 2030 auf ein Vierfaches steigen.

Eine der Haupthürden dafür besteht in der mangelhaften Energieversorgung. Die Formel ist einfach: Ohne Strom keine Entwicklung. Um produzierendes Gewerbe anzulocken, ist eine stabile und ausreichende Stromversorgung Grundvoraussetzung. Davon kann derzeit keine Rede sein: Von den Fabrikbetreibern, die das MGI befragt hat, gab kein einziger an, lückenlos Strom vom Netz zu beziehen. Die meisten werden demnach nur vier bis fünf Stunden täglich versorgt. Außerhalb dieser Zeiten greifen sie auf eigene Generatoren zurück.

Kein Wunder, die gesamte installierte Leistung des Landes beträgt nur 3344 Megawatt (MW). Zum Vergleich: Das Nachbarland Thailand mit einer ungefähr gleich großen Bevölkerung hat eine rund zehnmal so große Kapazität. Erschwerend kommt hinzu, dass rund 70 Prozent des Stroms in Myanmar aus Wasserkraft erzeugt werden und damit starken saisonalen Schwankungen unterliegen: In der rund viermonatigen Trockenzeit können die Kraftwerke wenig oder gar nicht produzieren. Gas und Kohle tragen zwanzig beziehungsweise zehn Prozent zum Energiemix bei.

Der bevorstehende Wirtschaftsboom wird Prognosen zufolge mit einem Anstieg des Strombedarfs von mindestens 15 Prozent pro Jahr einhergehen. Bis 2030 will Myanmar in der Moderne angekommen sein: 80 Prozent der Bevölkerung sollen dann Strom haben, die Zielmarke für die installierte Leistung liegt bei 30.000 MW.

Laut U Win Khaing, dem Vorsitzenden der myanmarischen Ingenieursvereinigung, strebt Naypyidaw zum einen an, sich seine derzeitige Unabhängigkeit im Energiesektor zu bewahren, also ausreichende Kapazitäten im eigenen Land auszubauen. Zum anderen sollen erneuerbare Energien promotet werden, vor allem Biomasse, Biogas, Kleinwasserkraft und Photovoltaik.

Allerdings verfügt Myanmar auch über große Öl- und Gasvorkommen, die es ausbeuten will. Laut Bloomberg sind 221 Milliarden Kubikmeter Erdgas nachgewiesen. Die Bangkok Post berichtete im Juni, dass es 101 Explorationsblöcke gebe, davon 48 offshore und 53 an Land. Insgesamt 37 Blöcke würden derzeit von zwanzig ausländischen Firmen erkundet. Laut Bloomberg begann im April die Versteigerung von dreißig Offshore-Blöcken. Fast sechzig internationale Energiefirmen zeigten Interesse an einem Engagement in Myanmar.

Der weitaus größte Teil des Öls und Gases ist bereits durch Verträge aus der Zeit vor der Öffnung des Landes für den Export bestimmt. Neue parallel laufende Öl- und Gaspipelines von der Westküste Myanmars nach China sollen künftig bis zu 22 Millionen Tonnen Öl und zwölf Milliarden Kubikmeter Gas transportieren. Die Gaspipeline ging im Juli in Betrieb, die Ölpipeline wird in einigen Monaten folgen.

Während die heimischen fossilen Energien also nur in geringem Ausmaß auf dem nationalen Markt landen, steht das Feld für regenerative Energien offen. Der Bericht „New Energy Architecture: Myanmar“, der im Juni auf dem Weltwirtschaftsforum (WEF) Ostasien in Naypyidaw von WEF, Asian Development Bank (ADB) und Accenture veröffentlicht worden ist, sieht für die Nutzung von Biomasse, Wasser-, Wind- und Sonnenkraft gute Chancen. Demzufolge schätzt das myanmarische Elektrizitätsministerium das Potenzial der Wasserkraft auf mehr als 100.000 MW und verfolgt große Zubaupläne in dem Bereich. Wind- und Solarprojekte befänden sich dagegen noch im Erkundungsstadium.

Laut dem WEF-Bericht sind derzeit mindestens drei Windkraftwerke in Betrieb. Zwei chinesische Firmen hätten Machbarkeitsstudien für die Installation von weiteren 4032 MW durchgeführt. Berichten der Bangkok Post zufolge will auch die thailändische Firma Gunkul Engineering in die myanmarische Windenergie investieren und große Projekte umsetzen.

Die erste Solarfarm des Landes soll mit einer Kapazität von 210 MW gleich die größte Südostasiens und die drittgrößte der Welt werden. Die thailändische Firma Green Earth Power (GEP) will das Projekt, das laut einer im Mai unterzeichneten Vereinbarung dreißig Jahre lang Elektrizität an den myanmarischen Staat verkaufen wird, innerhalb von zwei Jahren fertigstellen. Medienberichten zufolge soll eine weitere Vereinbarung zwischen GEP und Naypyidaw für ein Solarkraftwerk mit mehr als 200 MW Kapazität noch dieses Jahr unterschrieben werden. U Win Khaing berichtet zudem von Photovoltaik-Investitionsvorhaben einer weiteren thailändischen und einer US-amerikanischen Firma.

Gutes Potenzial für eine kommerzielle Nutzung attestiert der WEF-Bericht auch der bislang noch ungenutzten Geothermie. 93 Standorte seien identifiziert und 43 bereits getestet worden. Zudem sei 2007 das erste Gezeitenkraftwerk in Betrieb genommen und später ein weiteres installiert worden.

Neben diesen größeren Anlagen, die ihren erzeugten Strom ins Netz einspeisen, verfügt Myanmar über zahlreiche kleine, netzunabhängige Solar- und Wasserkraftprojekte. Das Economic Intelligence Center (EIC) der thailändischen Siam Commercial Bank sieht in diesem Bereich den Schlüssel zur landesweiten Elektrifizierung und rät Investoren: „Investieren Sie in kleine, erneuerbare Off-Grid-Kraftwerke in ländlichen Gegenden“. Der Ausbau sei dringend notwendig und der Strom könne obendrein teuer verkauft werden: Laut EIC sind die Preise für netzunabhängig erzeugten Strom in Myanmar derzeit unter den höchsten in Südostasien und drei- bis achtmal so hoch wie im nationalen Netz.

Die neue Energie nicht nur für Investoren, sondern auch für die arme Landbevölkerung erschwinglich zu machen, ist allerdings eine Herausforderung. Zudem hat die ADB vier mögliche Hürden für den Erneuerbaren-Ausbau identifiziert: Erstens: das Fehlen transparenter institutioneller und rechtlicher Rahmenbedingungen, zweitens: beschränkte finanzielle Kapazitäten für Forschung und Entwicklung, marktbasierte Investitionen und Infrastruktur, drittens: fehlende Personalkapazitäten und viertens: Subventionierte Preise für Öl und andere fossile Energien.

An einigen der Punkte arbeitet die Regierung. Zudem macht es die späte Entwicklung des Landes möglich, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen – den eigenen wie aus denen anderer. Zu Zeiten der Sanktionen sei es darum gegangen, um jeden Preis Einnahmen zu erzielen, sagte der damalige myanmarische Energieminister Than Htay auf dem Weltwirtschaftsforum Ostasien. Deshalb habe man Strom und Rohstoffe billig verkauft. Diese Politik verfolge Naypyidaw heute nicht mehr.

Eine angemessene Beteiligung der Bevölkerung am Aufbau der Industrie und an den Einnahmen, Ownership statt Ausverkauf, Nachhaltigkeit vor Profit – das sind einige der Prämissen, die nicht nur für den erfolgreichen Ausbau erneuerbarer Energien in Myanmar gelten, sondern für eine gesunde wirtschaftliche Entwicklung insgesamt. Die Menschen brauchen neben Strom auch besonders dringend Ausbildung und Arbeit. Auf dass in Myanmar wirklich das Licht angeht – nicht nur buchstäblich.