Megawatt gegen Megawels Am Mekong-Unterlauf sollen zwölf Wasserkraftwerke gebaut werden - mit fatalen Folgen für Fischerei und Landwirtschaft.

Wenn Millionen Menschen auf den Straßen Phnom Penhs feiern, dann ist Bon Om Tuk. Das Wasserfest mit Bootsrennen, Konzerten und Feuerwerk bei Vollmond im November ist das größte gesellschaftliche Ereignis des Jahres. Die Kambodschaner feiern dann ein weltweit einzigartiges Phänomen: Der Tonle-Sap-Fluss, der bei Phnom Penh in den Mekong mündet, ändert seine Fließrichtung. Während der Regenzeit führt der Mekong so viel Wasser, dass er den Tonle Sap landeinwärts drückt. Der gleichnamige See schwillt dadurch auf das Zehnfache an. Bei Bon Om Tuk befiehlt der König Kambodschas dem Wasser, wieder Richtung Meer abzufließen.

Anti-Staudamm-Protest in Bangkok. ©International Rivers
Anti-Staudamm-Protest in Bangkok. ©International Rivers

„Der Mekong ist unser Lebenselixier: Er sorgt für die Reproduktion der Fische im Tonle Sap, und er bewässert und düngt das Land“, erklärt Chit Sam Ath von der River Coalition of Cambodia. Ohne den Mekong-Zyklus gäbe es weder Fisch noch Reis in nötiger Menge, die Hauptnahrungsmittel der Menschen.

Diese Abhängigkeit vom Fluss gilt nicht nur für Kambodscha, sondern für einen großen Teil der 60 Millionen Menschen im Einzugsgebiet des unteren Mekongs. Der 4900 Kilometer lange Strom, der im tibetischen Hochland entspringt und durch China, Myanmar, Laos, Thailand, Kambodscha und Vietnam fließt, ist die Heimat der größten Inlandfischerei der Welt. 2,5 Millionen Tonnen werden jährlich aus dem unteren Mekong geholt. Das entspricht einem Viertel des weltweit in Flüssen und Binnenseen gefangenen Fischs.

Doch damit könnte bald Schluss sein. Im längsten Strom Südostasiens liegt noch ein anderer Reichtum verborgen – die Kraft des Wassers. Das gewaltige Potenzial wollen die Mekong-Anrainer, allen voran China und Laos, jetzt ausbeuten. Für Landwirtschaft und Fischerei, das Ökosystem und die Menschen im Einzugsgebiet sind Kollateralschäden zu erwarten.

15 Kraftwerke geplant

Fünf Kraftwerke am Hauptstrom sind bereits in Betrieb, alle in der westchinesischen Provinz Yunnan. 15 weitere sind im Bau oder in Planung: drei in China, zehn in Laos und zwei in Kambodscha. Zudem soll China mehr als ein Dutzend weitere Staudämme am Oberlauf des Mekongs in Tibet planen oder bereits bauen. Informationen dazu werden unter Verschluss gehalten.

Laut der zwischenstaatlichen Mekong River Commission (MRC) könnten die laotischen und kambodschanischen Kraftwerke zusammen 13 160 Megawatt (MW) erzeugen. Das wären acht Prozent des 2025 erwarteten Strombedarfs im unteren Mekongbecken. Die MRC rechnet in der Region mit einem Anstieg des Stromverbrauchs von jährlich 8,5 Prozent bis 2015 und danach 6,5 Prozent bis 2030.

Während China den erzeugten Strom dringend selbst benötigt, werden die Entwicklungsländer Laos und Kambodscha ihn in Devisen umwandeln, also in erster Linie für den Export produzieren. Hauptabnehmer wird Thailand sein, außerdem Vietnam.

China handelt im Alleingang

Allerdings stoßen die Bauvorhaben auf heftige Widerstände: bei Umweltschutzgruppen und Anwohnern sowie bei den flussabwärts liegenden Ländern Vietnam und Kambodscha, die befürchten, dass ihnen das Wasser abgedreht wird. China handelt im Alleingang, doch Laos, Kambodscha, Thailand und Vietnam haben sich im Rahmen der MRC zur Zusammenarbeit verpflichtet. Nur wenn ein Konsens der Mitgliedsländer erreicht wird, soll ein Projekt realisiert werden.

Gleich die erste der in Laos geplanten Anlagen, in der nördlichen Provinz Xayaburi, entfachte einen Streit, dessen Ausgang als wegweisend auch für die folgenden Projekte angesehen wird. Vietnam und Kambodscha halten die Folgen des Dammbaus für unzureichend erforscht und wollen den Bau des Kraftwerks mit einer Leistung von 1285 MW aufhalten, dessen Strom zu 95 Prozent für Thailand bestimmt ist. Im vergangenen Dezember riet die MRC dazu, die Arbeiten auszusetzen. Sanktionsmöglichkeiten hat sie jedoch nicht. Xayaburi soll 2019 in Betrieb gehen.

Auch für ein zweites laotisches Mekong-Kraftwerk haben nach Informationen der Umweltschutzorganisation International Rivers vorbereitende Arbeiten begonnen: Don Sahong an der kambodschanischen Grenze. „Ein Wasserfall wurde bereits gesprengt“, berichtet Pianporn Deetes von International Rivers, die im August vor Ort war. Die Regierung in Vientiane streitet dies jedoch ab. Den obligatorischen Abstimmungsprozess mit der MRC hat sie noch nicht eingeleitet.

Sollten alle geplanten Projekte umgesetzt werden, würde mehr als die Hälfte des unteren Mekong in Stauseen verwandelt. Das Ökosystem würde grundlegend verändert. Rund 70 Prozent der 1300 Fischarten im Mekong unternehmen jedes Jahr weite Wanderungen, darunter vom Aussterben bedrohte Arten wie der bis zu drei Meter lange Mekong-Riesenwels. Die Staudämme würden laut Weltfischzentrum und der Umweltschutzorganisation WWF verhindern, dass die Fische weiterhin zu ihren Laichplätzen schwimmen können.

Schutzmaßnahmen wie Fischtreppen oder -aufzüge halten Kritiker aus zwei Gründen für ungeeignet: wegen der vielen verschiedenen wandernden Arten, die ganz unterschiedliche Aufstiegshilfen benötigten, und aufgrund ihrer Masse: „Zur Hauptwanderzeit kommen bis zu 30 Tonnen Fisch pro Stunde an einer Stelle vorbei“, erklärt Pianporn Deetes. „Die können unmöglich alle im Lift transportiert werden.“

Das befürchtete Artensterben ginge mit dramatischen wirtschaftlichen Folgen für die Region einher. Der Wert der Mekongfischerei beträgt schätzungsweise 1,54 Milliarden Euro pro Jahr, wobei der hohe Eigenkonsum der Anwohner und die Weiterverarbeitung noch nicht eingerechnet sind. Die MRC geht von Einbußen von bis zu 42 Prozent aus. Dazu kommen Verluste für die Landwirtschaft von geschätzten 400 Millionen Euro pro Jahr. Zudem steht die Ernährungssicherheit auf dem Spiel.

Die erwarteten Gewinne aus der Wasserkraft wiegen diese Nachteile für die Menschen am Mekong nicht auf, sie werden weder vom Strom noch von den Einnahmen maßgeblich profitieren. Den Reibach werden private Bau- und Betreiberfirmen und der Staat als Anteilseigner und  Steuerempfänger machen.

Die Abnehmer sehen die Wasserkraft als wichtigen Beitrag zur Reduzierung ihrer Abhängigkeit von Importen fossiler Brennstoffe, zur Verringerung des Ausstoßes von Treibhausgasen und zur Energiesicherheit an. Vietnam, dessen Strombedarf jährlich im zweistelligen Prozentbereich wächst, kämpft mit Versorgungsengpässen. Und Thailand prognostiziert im aktuellen Energie-Entwicklungsplan eine Verdopplung des Strombedarfs von derzeit 26 355 Megawatt in Spitzenzeiten auf 52 256 MW im Jahr 2030. Um dieser Steigerung zu begegnen, setzen die beiden Schwellenländer auf den Ausbau aller Energieträger, einschließlich der Atomkraft.

Im Bereich der Erneuerbaren wird dabei großes Potenzial gesehen. Thailand als Vorreiter der Region hat sich zum Ziel gesetzt, bis 2030 ein Viertel seines Strombedarfs regenerativ zu erzeugen. Kraftwerke am Mekong sollten dafür jedoch der letzte Ausweg sein, betonen Umweltexperten. „Man kann nicht beides gleichzeitig haben: die derzeitige Menge Fisch und die geplante Menge Strom“, erklärt Robert Mather, Südostasienleiter des Umweltschutznetzwerks IUCN. „Vom Mekong hängen Millionen Menschen ab. Es gibt viele Optionen, die weniger Schaden anrichten würden als die geplanten Dämme am Hauptstrom und die zunächst vollständig geprüft werden sollten.“ An erster Stelle müsse eine Steigerung der Energieeffizienz stehen. Thailand sieht etwa Einsparmöglichkeiten von bis zu 25 Prozent in den nächsten zwanzig Jahren.

Auch Mirko Barz, Professor für Regenerative Energien an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Berlin, der kürzlich eine Summer School zu erneuerbaren Energien in Bangkok geleitet hat, ist überzeugt: „Es gibt in der Mekong-Region zahlreiche Möglichkeiten der Nutzung regenerativer Energien, und die Erschließung ist erst am Anfang.“ Die Wachstumsraten von dreißig bis vierzig Prozent pro Jahr bei der Solarenergie in Thailand ließen sich auch in den Nachbarländern erreichen, der bislang vernachlässigte Windenergiesektor könne sich gut entwickeln, und auch für die Bioenergienutzung gebe es aufgrund des tropischen oder subtropischen Klimas „exzellente Voraussetzungen“.

„Die Nutzung der Wasserkraft würde ich nicht ausschließen“, sagt Barz, „allerdings sollte sie in Übereinstimmung mit ökologischen und sozialen Erfordernissen stehen.“ Die Kraftwerke am Oberlauf des Mekongs führe er in seinen Vorlesungen immer als Beispiel dafür an, dass erneuerbare Energien nicht automatisch eine nachhaltige Nutzung bedeuten, sondern auch negative Auswirkungen haben können.

Eine nachhaltige Nutzung am Hauptstrom des Mekongs hält Mather schlicht für unmöglich. Mit dem voranschreitenden Dammbau eskaliert auch der Streit darum. Beim Gipfeltreffen der asiatisch-pazifischen Wirtschaftsgemeinschaft Apec im September warnte der vietnamesische Präsident Truong Tan Sang im Zusammenhang mit einem Aufruf zur nachhaltigen Nutzung des Mekongs vor zwischenstaatlichen Konflikten um den Zugang zum Wasser. Die Bedeutung der Ressource für das 21. Jahrhundert verglich er mit der des Öls im 19. und 20. Jahrhundert. „Für die Vietnamesen entwickelt sich die Angelegenheit zu einer Frage der nationalen Sicherheit“, sagt Mather, „und es ist nicht klar, wie weit sie bereit sind zu gehen.“