Die Welt liegt ihr zu Füßen

Aung San Suu Kyi kann nach 24 Jahren endlich wieder reisen. Nächste Woche kommt sie nun nach Europa

Aung San Suu Kyi beim Weltwirtschaftsforum Ostasien in Bangkok. ©Foto: World Economic Forum
Aung San Suu Kyi beim Weltwirtschaftsforum Ostasien in Bangkok. ©Foto: World Economic Forum

Sie hat Burma 24 Jahre lang nicht verlassen. Nicht, als sie vor zwei Jahrzehnten den Friedensnobelpreis zugesprochen bekam. Und auch nicht, als ihr Ehemann in England an Krebs starb. Zu groß war die Angst, nicht mehr hereingelassen zu werden in ihr abgeschirmtes, von einer Militärdiktatur geknechtetes Land, das ihr den Wahlsieg verwehrt und sie 15 Jahre lang unter Hausarrest gestellt hat. Sie hat ausgeharrt, gewartet, gehofft.

Jetzt ist ihre Zeit gekommen. Mit 66 Jahren ist Aung San Suu Kyi wieder in der Welt unterwegs. Sie muss sie nicht erobern, denn sie liegt ihr bereits zu Füßen. Burmas Oppositionsführerin gilt als Ikone der Demokratie, Heldin des Widerstands, Hoffnungsträgerin der Unterdrückten. Millionen Menschen weltweit waren im Geiste an ihrer Seite in den langen Jahren der Isolation.

Die neue Freiheit, seit ihrer Entlassung aus dem Hausarrest vor anderthalb Jahren in Burma bereits ausgiebig gekostet, führt sie bei ihren ersten Schritten außer Landes nach Thailand.  Die „Lady“ kommt abends in der Zwölf-Millionen-Metropole Bangkok an. „Ich war vollkommen fasziniert von den Lichtern“, erzählt sie drei Tage später auf dem Weltwirtschaftsforum Ostasien. „Denn ich kam gerade aus Burma, das unter Stromausfällen leidet.“ Vor dreißig Jahren sei der Anblick beim Anflug auf Rangun und Bangkok sehr ähnlich gewesen, sagt sie.  „Jetzt ist der Unterschied beträchtlich.“

IIn Thailand trifft Aung San Suu Kyi nicht nur Politiker und Wirtschaftsbosse, sondern auch Tausende Landsleute. „Ich werde versuchen, unser Land voranzubringen, damit ihr  zurückkommen könnt“, ruft sie den Arbeitern in Mahachai südlich von Bangkok zu. Burmesen sind dort überwiegend in der Fischindustrie beschäftigt. Den Flüchtlingen im Lager Mae La in der thailändisch-burmesischen Grenze sagt sie: „Ich habe Euch nicht vergessen, ich werde mein Bestes tun.“

Geschätzte zwei Millionen Burmesen leben in Thailand, davon 146.000 in Flüchtlingslagern. Es ist die größte Diaspora weltweit. In Aung San Suu Kyi sehen sie ihre Zukunft – genau wie  ihre Landsleute in der alten Heimat. „Wir wollen frei sein“, steht auf den Plakaten in Mahachai, die die jubelnde Menge ihrer Volksheldin entgegenstreckt. Und: „Wann können wir  heimkehren?“

Wie immer trägt Aung San Suu Kyi die traditionelle burmesische Kleidung – eine hochgeschlossene Bluse und den bodenlangen Wickelrock Longyi – mit ihrem eigenen eleganten Touch.  Sie hat stets Blumen im Haar und ein Lächeln für jeden, den sie trifft. Sie berührt die ihr entgegengestreckten Hände ihrer Landsleute und wendet sich im nächsten Moment mit  druckreifen Statements in fließendem Englisch an ihre ausländischen Begleiter.

Die Burmesen erkennen in Aung San Suu Kyi eine der ihren, der Westen eine Dame von Welt. Die „Lady“, der Luc Besson den gleichnamigen Film gewidmet hat, ist beides. Tochter des  Nationalhelden Aung San, der als Vorkämpfer für die Unabhängigkeit von den Briten 1948 verehrt wird. Tochter der Politikerin und Botschafterin in Indien Khin Kyi. Tochter ihres Landes.  Und Weltbürgerin, die in Neu Delhi zur Schule ging, in Oxford Philosophie, Politik und Wirtschaft studierte, in New York bei den Vereinten Nationen arbeitete. Die den britischen Tibetologen Michael Aris heiratete und ihre beiden Söhne in England großzog.

1988 reiste sie nach Burma, um sich um ihre kranke Mutter zu kümmern. Es war das Jahr der blutigen Studentenrevolte. Aung San Suu Kyi schloss sich der Demokratiebewegung an, gründete die Nationale Liga für Demokratie (NLD) mit, deren Vorsitzende sie bis heute ist. Bis letzte Woche konnte sie das Land nicht mehr verlassen.

Die NLD gewann 1990 die Wahlen, doch die Junta weigerte sich, die Macht abzutreten. Nach fast 50 Jahren Militärdiktatur ist Aung San Suu Kyi heute die Brücke, die das rückständige Burma mit der modernen Welt zusammenbringt. Der Westen vertraut auf ihre Einschätzung. Wenn sie denkt, es wäre an der Zeit, die Sanktionen zu lockern, werden die Sanktionen  gelockert. Wenn sie sagt, Präsident Thein Sein habe ernsthaft den Weg zur Demokratie eingeschlagen, glaubt das auch der Rest der Welt. Seit dem Ende ihres Hausarrests und dem haushohen Sieg der NLD bei der Parlaments-Nachwahl am 1. April, der auch die einstige Staatsfeindin erstmals ins Parlament brachte, geben sich ranghohe Politiker in ihrem Haus in Rangun die Klinke in die Hand. Auch Außenminister Guido Westerwelle war Ende April da.

Ihre nächste Reise, Mitte Juni, führt nach Europa. Sie wird in Genf bei der Internationalen Arbeitsorganisation ILO und in London im Parlament reden. Sie wird in Dublin auf der Bühne stehen, wenn die Band U2, die ihr 2001 mit dem Lied „Walk On“ ein Denkmal setzte, ein Konzert zu ihren Ehren gibt. Und in Oslo wird sie endlich ihre Dankesrede für den Friedensnobelpreis halten, der ihr 1991 für den gewaltlosen Kampf für Demokratie und Menschenrechte verliehen wurde.

Aung San Suu Kyis Aufstieg ist so rasant, ihre Autorität so groß, das Ansehen bei ihren Landsleute so grenzenlos, dass sie manche schon als nächste Präsidentin des Landes sehen.
Vielleicht würde Burma das Ziel, das die „Lady“ in Bangkok formuliert, mit ihr an der Spitze erreichen. „Wir alle wollen eine wohlhabendere, friedlichere Welt“, sagt Aung San Suu Kyi den Politikern und Wirtschaftsdelegierten. Und: „Wir wollen Teil dieser wohlhabenderen, friedlicheren Welt sein. Wir wollen nicht am Rand stehen gelassen werden.“