Verurteilt für zehn User-Kommentare

In Thailand hat eine Frau wegen majestätsbeleidigender User-Beiträge eine Strafe erhalten. Der Staat betreibt rigide Online-Zensur.

Chiranuch mit ihren Anwälten im Gericht ©Foto: Heinrich-Böll-Stiftung
Chiranuch mit ihren Anwälten im Gericht ©Foto: Heinrich-Böll-Stiftung

Es hätte schlimmer kommen können: Der thailändischen Webmasterin Chiranuch Premchaiporn drohten bis zu zwanzig Jahre Haft, weil sie Monarchie-kritische Kommentare von Usern ihres Nachrichtenportals Prachatai nicht rechtzeitig gelöscht hatte. Konkret ging es um zehn Einträge, die zwischen April und November 2008 im inzwischen geschlossenen Forum der Website erschienen sind.

Doch das Gericht verhängte vergleichsweise milde acht Monate Haft auf Bewährung und eine Geldstrafe von umgerechnet rund 500 Euro. Sichtlich erleichtert, dem Gefängnis entgangen zu sein, wertete Chiranuch das Urteil dennoch als schlechtes Omen für die Meinungsfreiheit in Thailand. Sie betonte nach dem Schuldspruch am Strafgerichtshof in Bangkok: "Ich bin verurteilt worden. Und das bedeutet, dass Webmaster die Rolle der Polizei spielen sollen." Sie denke darüber nach, Berufung einzulegen.

Das Computerkriminalitäts-Gesetz, nach dem Chiranuch verurteilt wurde, ist ein Produkt der vom Militär nach dem Coup im September 2006 installierten Regierung. Es sieht Haftstrafen von bis zu fünf Jahren und Geldstrafen von maximal 100.000 Baht (rund 2.450 Euro) vor – und zwar für die Verbreiter verbotener Inhalte in gleichem Maße wie für deren Urheber. Der Prozess gegen die 45-jährige Aktivistin war der erste dieser Art gegen einen Webmaster, der nicht Urheber der strittigen Veröffentlichung ist. Damit hat das Urteil besondere Bedeutung für Betreiber von Websites.

Vorkämpferin für Internetfreiheit

Dass Chiranuch nicht ins Gefängnis muss, schreiben Beobachter zum Teil der starken internationalen Beachtung des Falls zu, der zum Gradmesser für die Presse- und Meinungsfreiheit im offiziell demokratischen Thailand wurde. "Das Urteil spiegelt zweierlei wider: Man wollte zeigen, dass sie schuldig ist und andererseits einen Aufschrei in den internationalen Medien und Menschenrechtsorganisationen verhindern", sagt Jost Pachaly, Leiter der Heinrich-Böll-Stiftung in Thailand. Vertreter von Nichtregierungsorganisationen, Medien und zahlreichen Botschaften hatten die Verhandlungen seit Beginn im Februar 2011 verfolgt.

Chiranuch wird im Ausland als Vorkämpferin für Internetfreiheit angesehen und erhielt im vergangenen Jahr mehrere Auszeichnungen. Das US-Nachrichtenmagazin Newsweek kürte sie zu einer von "150 Frauen, die die Welt bewegen". Die Journalistin hat nicht nur Prachatai zu einer wichtigen Diskussions-Plattform für soziale und politische Themen gemacht, sondern auch das Thai Netizen Network mitgegründet, das Einschränkungen der Internetfreiheit durch das Computerkriminalitäts-Gesetz überwacht.

Das umstrittene Gesetz dient hauptsächlich als Instrument zur Online-Zensur. Einer Erhebung der Heinrich-Böll-Stiftung zufolge sind in den ersten drei Jahren nach seinem Inkrafttreten rund 75.000 Internetseiten gerichtlich geschlossen worden. Bei mehr als 57.000 davon waren majestätsbeleidigende Inhalte der Grund.

In Thailand gilt jegliche Kritik am König, seiner Frau, dem Thronfolger oder dem Regenten als Schwerverbrechen. Der entsprechende Paragraf 112 im Strafgesetzbuch sieht dafür drei bis 15 Jahre Gefängnis pro Einzeltat vor. Damit hat das Land das schärfste Lèse-Majesté-Gesetz der Welt – und wendet es verstärkt an: Während es vor dem Putsch gegen die Regierung von Thaksin Shinawatra, dem Bruder der jetzigen Ministerpräsidentin Yingluck Shinawatra, lediglich eine Handvoll Lèse-Majesté-Verfahren im Jahr gab, befassten sich die Gerichte zwischen 2005 und 2010 mit durchschnittlich 172 Fällen im Jahr.

Spektakuläre Urteile sorgten in jüngster Zeit auch international für Aufsehen. Im November wurde der 61-jährige Ampon Tangnoppakul alias "Onkel SMS" zu zwanzig Jahren Haft verurteilt, weil er vier SMS mit Beleidigungen der Königin Sirikit an den Sekretär des ehemaligen Ministerpräsidenten Abhisit Vejjavija geschickt haben soll. Ampon erlag vor kurzem in Haft seiner Krebserkrankung. Anfang Dezember bekam der aus Thailand stammende US-Bürger Joe Gordon zweieinhalb Jahre, weil er Auszüge einer verbotenen Biografie über König Bhumibol ins Thailändische übersetzt und auf eine Website gestellt hatte. Und eine Woche später gab es 15 Jahre Haft für die Aktivistin und Journalistin Daranee Charnchoengsilpakul, die 2008 bei einer Demonstration eine Monarchie-kritische Rede gehalten haben soll.

Zurzeit läuft ein Prozess gegen einen Redakteur der inzwischen eingestellten Zeitschrift Voice of Taksin, Somyot Prueksakasemsuk. Ihm wird Majestätsbeleidigung im Zusammenhang mit zwei Artikeln vorgeworfen, die er nicht geschrieben hat, für deren Veröffentlichung er aber der Anklage zufolge Verantwortung trägt.

Um Lèse-Majesté-Inhalte im Internet aufzuspüren, hat die Regierung eigens einen "War-Room" eingerichtet. "Cyber-Scouts" durchforsten Diskussions- und Nachrichtenportale, aber auch soziale Netzwerke wie Facebook auf Monarchie-kritische Inhalte – das Drücken des "Like"-Buttons kann schon eine Anklage nach sich ziehen.

Auch Prachatai bleibt weiter im Visier: Gegen den Journalisten Pravit Rojanaphruk der englischsprachigen Tageszeitung The Nation wird wegen sieben Artikeln ermittelt, die er auf Prachatai veröffentlicht hat. Und auch Chiranuch droht eine Verurteilung unter dem drakonischen Lèse-Majesté-Gesetz: Gegen sie liegt noch eine zweite Anklage vor, die sich ebenfalls auf Diskussionsbeiträge auf Prachatai bezieht. Der Prozess ist noch nicht eröffnet.