• September/Oktober/November 2011

Social Business bildet Internet-Programmierer in Kambodscha aus Schweizer wollen sich selbst überflüssig machen

„Die Firma ist mein zweites Zuhause“, sagt Phalla Lay. Doch damit meint er nicht, dass er permanent arbeitet. Er meint es positiv. Der 24-jährige Programmierer und Entwickler kommt am Wochenende ins Büro, um seine Kollegen zu treffen, die gleichzeitig seine Freunde sind. Sie spielen Billard oder Karten zusammen, surfen im Internet und tauschen sich über die neuesten Technologien aus.

Rebecca und Dominik Stankowski. ©Katja Dombrowski
Rebecca und Dominik Stankowski. ©Katja Dombrowski

 Lay arbeitet bei der Webagentur Web Essentials in Phnom Penh. Indem sie ihren Mitarbeitern eine zweite Heimat bieten, haben die Schweizer Firmenbesitzer Rebecca und Dominik Stankowski bereits eins ihrer wichtigsten Ziele erreicht: Es soll in dem Unternehmen, das Internetseiten vor allem für deutsche und schweizerische Kunden erstellt, nicht nur um Arbeit und Profit gehen, ums „Business“. Sondern auch um das Miteinander, das Soziale, letztlich um die Gesellschaft. Web Essentials ist ein so genanntes Social Business.

Konkret heißt das zum Beispiel, dass das aus Basel stammende Unternehmerpaar zehn Prozent seines Gewinns an Nichtregierungsorganisationen spendet, dass der Profit zurück in die Firma fließt, dass die Mitarbeiter fair bezahlt und permanent weitergebildet werden, dass langfristige Partnerschaften entstehen und dass Verantwortung an die Mitarbeiter übergeht. „Unsere Idee ist es, uns selbst irgendwann überflüssig zu machen“, sagt Rebecca Stankowski mit einem Lächeln. „Wenn alle Positionen von Kambodschanern besetzt sind, gehen wir zurück in die Schweiz“.

Doch das ist Zukunftsmusik. Die nächsten Jahre wollen Stankowskis, die im Januar 2008 über Jobs bei Nichtregierungsorganisationen nach Kambodscha kamen und inzwischen einen zweijährigen Sohn haben, auf jeden Fall im Land bleiben. Web Essentials existiert seit April 2010 und befindet sich noch in der Aufbauphase. Zurzeit hat die Firma 44 Mitarbeiter, darunter sind außer den Firmeninhabern noch drei Expats. „Wir haben zum Beispiel einen Schweizer Sales- und Marketing-Manager eingestellt, weil wir keinen geeigneten Kambodschaner für die Position gefunden haben“, erklärt Rebecca Stankowski. Andere Ausländer kommen für einige Monate zu Web Essentials, um Trainings in TYPO3 zu geben, der Open-Source-Software, mit der die Internetseiten programmiert werden.

„Mein Traum ist eine eigene Firma“, sagt Dimanche Eat, der die ausländischen Aufträge von Web Essentials koordiniert und mit Teams von zwei bis fünf Programmierern realisiert. „Aber das ist vielleicht in zehn Jahren möglich. Ich muss noch viel lernen“, weiß der 21-jährige Kambodschaner. Was er an seinem Arbeitgeber besonders schätzt: „Man bekommt hier die Chance, seine eigenen Ideen einzubringen und die Dinge selbst zu machen.“ So könne er sich immer weiter entwickeln. „Mein nächstes Ziel ist Projektmanager.“

Ausbildung und Förderung spielen bei Web Essentials eine große Rolle: Die meisten Programmierer haben den Umgang mit TYPO3 erst in der Agentur gelernt, in einem selbst entwickelten vierwöchigen Ausbildungsprogramm. Davon profitieren auch die derzeit sieben Praktikanten - IT-Studenten am Ende des Studiums, die sich nach ihrem Abschluss Hoffnung auf eine Anstellung in der Webagentur machen können. Darüber hinaus gibt es wöchentliche Trainingseinheiten zur Weiterbildung der Mitarbeiter.  „Die Ausbildung hier an den Universitäten ist weit entfernt von dem, was der Markt braucht“, sagt Rebecca Stankowski. Web Essentials verstehe sich so gesehen nicht nur als Unternehmen, sondern auch als Ausbildungsstätte, die Infrastruktur biete, Erfahrungen ermögliche und neue Techniken einführe.

So haben ihre Mitarbeiter TYPO3, das weltweit am meisten verwendete Content Management System (CMS), ins Khmer übersetzt, wodurch wesentlich mehr Menschen vor Ort die Verwendung ermöglicht beziehungsweise vereinfacht werde. Einmal im Monat stellt die Agentur ihre Räumlichkeiten für ein TYPO3-User-Group-Treffen zur Verfügung, bei dem sich 50 bis 60 TYPO3-Programmierer und solche, die es werden wollen, austauschen. „Unser Ziel ist es, auch einen Unterschied im Land zu machen“, fasst die Chefin zusammen.

Etwa ein Drittel seiner Kunden rekrutiert das junge Unternehmen in Kambodscha. Dort erstellt es Webseiten für Firmen und Nichtregierungsorganisationen, vom Design der Seite über die technische Realisierung bis zum Training der Kunden in TYPO3, um die Seite selbst zu pflegen. Die Mehrheit der Auftraggeber sitzt jedoch in Deutschland und der Schweiz: Webagenturen, die ihre Programmierarbeit in das südostasiatische Entwicklungsland outsourcen. Das sei zum einen kostengünstig und Engpässe etwa in Ferienzeiten im europäischen Sommer oder bei guter Auftragslage könnten so überbrückt werden, erklärt Rebecca Stankowski. Zum anderen schätzten die Kunden die Expertise der TYPO3-Fachleute von Web Essentials: „Unsere Leute können durchaus mit Programmierern in Deutschland und der Schweiz mithalten.“ Zwei der kambodschanischen Mitarbeiter hätten kürzlich in der Schweiz ihr TYPO3-Zertifikat erhalten.

Open-Source-Programme wie TYPO3, die auf dem Open-Source-Betriebssystem Linux basieren und kostenlos aus dem Internet heruntergeladen werden können, sind in Entwicklungsländern besonders vorteilhaft. Ist die Hardware erst vorhanden, treten keine weiteren Kosten auf. Kambodschas Regierung will mittelfristig vollständig auf Open-Source-Software umstellen. Wichtige Software wie ein Betriebssystem, ein Internetbrowser, ein E-Mail-Pogramm und ein Office-Paket mit Textverarbeitung, Tabellenkalkulation, Präsentation etc. liegen bereits auf Khmer vor.

Die IT-Branche Kambodschas steckt etwa im Vergleich zum großen Nachbarn Thailand noch in den Kinderschuhen. „Zurzeit geht es für lokale Firmen noch um die Frage: Warum brauche ich überhaupt eine Webseite, und nicht darum, wie sie aussehen soll“, erklärt Rebecca Stankowski. Doch sie ist sicher, dass der Markt sich entwickeln und die Nachfrage stetig steigen werde. Web Essentials mit ihren TYPO3-Experten sind dann schon da - oder besser gesagt immer noch. Unter schweizerischer oder kambodschanische Leitung. Im Besitz der Stankowskis oder derzeitiger Angestellter. Die Einzelheiten sind noch vollkommen unklar. Doch dass es weitergeht für die „soziale“ Webagentur, steht für ihre Gründer fest.