Vor vielen Jahren haben die Briten die Bewohner der Chagos-Inseln im Indischen Ozean zwangsumgesiedelt. Nun kämpfen die Vertriebenen und ihre Nachkommen im britischen Exil darum, in ihre Heimat zurückkehren zu können. Der Dokumentarfilm „Another Paradise“ begleitet sie dabei. Dieser Beitrag ist der fünfte unseres diesjährigen Sommer-Spezialprogramms mit Rezensionen künstlerischer Werke mit entwicklungspolitischer Relevanz.
Vom einstigen Britischen Territorium im Indischen Ozean ist noch genau eine Inselgruppe übrig geblieben: der Chagos-Archipel, in der Mitte zwischen Asien, Afrika und Australien gelegen. London verpachtet den gesamten Archipel mit 64 Inseln bereits seit Jahrzehnten an die USA, die auf der Hauptinsel Diego Garcia einen großen Militärstützpunkt betreiben. Darüber hinaus ist das Tropenparadies für die Besatzer vor allem von geopolitischer Bedeutung – die immerhin so groß ist, dass sie sich weigern, es an Mauritius zurückzugeben.
Bis Mitte der 1960er Jahre gehörte Chagos offiziell zu Mauritius. Als die Briten Mauritius in die Unabhängigkeit entließen, behielten sie die weit abgelegenen Inseln, auf denen nur wenige Menschen lebten – illegalerweise, wie mittlerweile der Internationale Gerichtshof bestätigt hat. Doch während Mauritius, das seit Jahren vehement für eine Rückgabe kämpft, rechtlich der Besitzer ist, wären die Chagossianer am liebsten unabhängig.
Noch wichtiger ist es ihnen aber, auf ihre Inseln zurückkehren zu können. Denn um Diego Garcia in ein Militärgebiet zu verwandeln, das seitdem Sperrgebiet ist, haben die britischen Kolonialherren die gesamte Bevölkerung von Chagos, rund 1200 Menschen, zwangsumgesiedelt. Sie, beziehungsweise ihre Nachkommen leben seitdem in Mauritius, den Seychellen und vor allem England.
Von dort aus kämpfen sie um ihre verlorene Heimat, und dabei begleitet sie der Dokumentarfilm „Another Paradise“ des belgischen Regisseurs Olivier Magis. Im Zentrum steht Sabrina Jean, Vorsitzende der Chagos Refugees Group UK. Sie wurde 1973 in Mauritius geboren und lebt in Crawley, rund 30 Kilometer südlich von London, wo es eine große Chagossianer-Community gibt. „Ich kämpfe für die Sache meiner Eltern, vor allem meines Vaters“, erklärt Jean im Film. Der große Wunsch ihres Vaters ist es, in seiner Heimat Peros Banhos begraben zu werden, einem kleinen Atoll, das zum Chagos-Archipel gehört.
Der Film zeigt, wie die entwurzelten Alten im englischen Exil versuchen, ihre Traditionen, ihre Sprache, ihr Essen, ihre Kleidung und die Lieder, die davon erzählen, wie die Briten ihnen alles genommen haben, an die Jungen weiterzugeben. Man ahnt, dass das von Generation zu Generation schwieriger wird, dass da etwas verloren geht, vielleicht unwiederbringlich. Der Film zeigt auch das Leben der Enkel: Fußball spielende Jugendliche im England des 21. Jahrhunderts – in jeder Hinsicht weit entfernt von dem Chagos, das der Film in einigen historischen Aufnahmen aufleben lässt.
Vom Fußball erhofft sich die kleine Diasporagemeinschaft viel. „Another Paradise“ spielt wenige Monate bevor 2016 der Pachtvertrag mit den USA ausläuft, und die Chagossianer setzen alles daran, dass dieser Vertrag nicht verlängert wird. Dazu drängen sie die britische Regierung, dafür demonstrieren sie in London. Sie sind wenige, und sie haben keine große Lobby. Das wissen Jean und ihre Mitstreiter. Doch es gibt eine Chance, mehr Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen: Die Fußballmannschaft der Chagossianer – ein Hobbyclub in Crawley, dem Jean vorsitzt – hat sich für die CONIFA-Weltfußballmeisterschaft 2016 qualifiziert.
Die Teilnahme am internationalen Turnier für staatenlose Völker im fernen Abchasien, die erst durch eine große Spendensammelaktion möglich wird, ist ein Höhepunkt für die Gruppe, die der Film begleitet – auch wenn sie alle Spiele verliert. Ihre Gegner bei dieser WM der Vergessenen heißen Westarmenien, Somaliland oder Raetia.
Der Film zeigt es nicht, aber der Pachtvertrag mit den USA über den Chagos-Archipel wurde 2016 für weitere 20 Jahre verlängert. Das heißt aber nicht, dass der Kampf der Chagossianer damit beendet wäre. „Another Paradise“ macht klar, dass sie nicht aufgeben werden. Eine Idee besteht sogar darin, ein Boot zu besorgen und einfach hinzufahren nach Chagos. Und die Inseln dann nicht mehr zu verlassen. Es wäre eine Mission mit sehr ungewissem Ausgang. Doch Jean vermittelt den Eindruck, zu so ziemlich allem bereit zu sein, um ihr Ziel zu erreichen.