Die Industrieländer haben wieder einmal wichtige Entscheidungen vertagt

Der ostafrikanische Inselstaat Mauritius ist besonders stark vom Klimawandel betroffen. Im Gespräch erklärt Umweltminister Kavydass Ramano, wie die Veränderungen seinem Land jetzt schon zu schaffen machen – und worin die größte Gefahr besteht.

Nicht überall ragt das Land so hoch empor wie auf der Hauptinsel – mancherorts liegt es nur ein bis zwei Meter über dem Meeresspiegel. ©Sinikka Dombrowski
Nicht überall ragt das Land so hoch empor wie auf der Hauptinsel – mancherorts liegt es nur ein bis zwei Meter über dem Meeresspiegel. ©Sinikka Dombrowski

Kavydass Ramano ist Minister für Umwelt, Abfallwirtschaft und Klimawandel in Mauritius.

Herr Ramano, Sie haben am 12. November Ihr Amt aufgenommen, und eine Ihrer ersten Amtshandlungen bestand darin, Mauritius auf der Weltklimakonferenz (COP 25) im Dezember in Madrid zu vertreten. Waren Sie auf diese Aufgabe überhaupt vorbereitet?

Ich muss zugeben, dass es in der Kürze der Zeit nicht einfach war, mich umfassend vorzubereiten, um an den Diskussionen des High-Level-Segments der COP 25 teilzunehmen. Wegen der Komplexität von Themen wie Minderung, Anpassung, langfristige Finanzierung oder Schäden und Verluste musste ich vorab eine Reihe von Gesprächen mit den Fachleuten meines Ministeriums führen. Glücklicherweise konnte ich mich auf ihre Expertise stützen.

Vor Ihrer Teilnahme an der COP haben Sie von einer „letzten Chance zu handeln“ gesprochen. Was haben Sie genau damit gemeint?

Die Regierung und die Menschen von Mauritius sind sehr besorgt, was die immer schlimmer werdenden Folgen des Klimawandels betrifft. Als kleines Inselentwicklungsland gehört Mauritius zu den weltweit am stärksten bedrohten Ländern. Wir erleben beispielsweise immer mehr und stärkere Überschwemmungen aufgrund von Extremwetterereignissen, teilweise mit Todesopfern, und stärkere Zyklone im Indischen Ozean. Außerdem Korallenbleiche, Riffsterben, Stranderosion, Versalzung von Küstengebieten, Verlust von Lebensraum, Ernährungsunsicherheit wegen der Auswirkungen auf die Landwirtschaft, die Verbreitung von Krankheiten – all das hat auch große wirtschaftliche Folgen. Die Industrieländer dürfen entschiedene Gegenmaßnahmen gegen den Klimawandel auf keinen Fall weiter aufschieben. Die Dringlichkeit war nie größer als jetzt. Das gilt umso mehr, da der Weltklimarat in seinem jüngsten Bericht betont hat, dass die bisherigen nationalen Beiträge bei weitem nicht ausreichen, um die Erderwärmung auf deutlich unter zwei Grad zu begrenzen, wie 2015 in Paris beschlossen. Das Zeitfenster, um dieses Ziel noch erreichen zu können, wird immer kleiner.

Zu den größten Gefahren für Inselstaaten gehört das Risiko, von einem verheerenden Tropensturm getroffen zu werden. Ist diese Gefahr für Mauritius größer geworden?

Alles deutet darauf hin, dass das Risiko heute viel größer ist als früher. Die Meerestemperatur steigt, und die Entstehung von Zyklonen im Indischen Ozean folgt nicht mehr dem früher typischen Muster. Ein Beispiel war Zyklon Ambali im vergangenen Dezember: Er hat sich innerhalb nur eines Tages von einem Tropensturm zu einem Zyklon an der Grenze zu Kategorie 5, der höchsten Stufe, entwickelt. So etwas hat es auf der Südhalbkugel nie zuvor gegeben. Auch in anderen Gegenden wie dem Pazifik und der Karibik hat es schon Kategorie-5-Stürme gegeben – und ich persönlich glaube nicht, dass der Indische Ozean da eine Ausnahme ist.

Was wären die Folgen eines Kategorie-5-Zyklons? Ist Mauritius darauf vorbereitet?

Im Moment kommen wir mit Zyklonen mit Windgeschwindigkeiten von bis zu 250 Stundenkilometern klar, das ist Kategorie 4. Noch stärkeren Stürmen würde unsere Infrastruktur nicht standhalten. Unter anderem könnten grundlegende Einrichtungen wie Schulen und Krankenhäuser zerstört werden. Die Gefahr, dass Menschen ihre Lebensgrundlage oder sogar ihr Leben verlieren, ist sehr real. Und auch Auswirkungen auf wichtige Bereiche der mauritischen Wirtschaft wie Landwirtschaft, Fischerei und Tourismus wären katastrophal. In den vergangenen sieben Jahren hat Mauritius einiges unternommen, um auf Umweltkatastrophen vorbereitet zu sein. So wurde beispielsweise das Frühwarnsystem für Zyklone verbessert und ein Doppler-Radar für genauere Wettervorhersagen installiert. Es bleibt aber noch sehr viel zu tun.

Abgesehen von Zyklonen, welche Gefahren bestehen noch?

Wir rechnen damit, dass der Klimawandel sich auf wichtige Wirtschaftssektoren auswirkt und Leben und Lebensgrundlagen gefährdet. Beispiel Wasser: Die Menge nutzbarer Wasserressourcen wird bis Mitte des Jahrhunderts voraussichtlich um 13 Prozent abnehmen. Heftige kurze Regenfälle führen zu plötzlichen Überschwemmungen. Krankheiten, die über das Wasser übertragen werden, verbreiten sich wieder. Prognosen deuten außerdem darauf hin, dass die landwirtschaftliche Produktion bis 2050 um 30 Prozent abnehmen könnte, was Fragen der Ernährungssicherheit aufwirft. Durch Erosion sind die Strände in manchen Gegenden in den vergangenen zehn Jahren bis zu 20 Meter schmaler geworden. Der Klimawandel bedroht die Entwicklung, die sich Mauritius in den vergangenen Jahrzehnten hart erkämpft hat.

Der Weltklimarat (IPCC) sagt einen Anstieg des Meeresspiegels um 24 bis 32 Zentimeter bis 2050 voraus. Was bedeutet das konkret für Mauritius?

Bei uns steigt der Meeresspiegel sogar überdurchschnittlich stark. Laut aktuellen Erhebungen des Sea Level Centers der University of Hawaii betrug der Anstieg hier in den vergangenen 15 Jahren durchschnittlich 5,6 Millimeter pro Jahr. Im globalen Durchschnitt waren es laut IPCC 3,2 Millimeter pro Jahr. Wie gesagt, hatte der bisherige Anstieg schon eine starke Stranderosion zur Folge. In den kommenden 50 Jahren könnten wir bis zu 50 Prozent unserer Strände verlieren, wenn nicht sofort Gegenmaßnahmen ergriffen werden. Die wirtschaftlichen Folgen wären riesig, denn der Tourismus ist einer der wichtigsten Pfeiler der mauritischen Wirtschaft. Die IPCC-Vorhersagen verheißen also nichts Gutes für Mauritius. Besonders betroffen sind die Menschen an den Küsten, die vor allem Fischer und Bauern sind. Auch der Hafen in der Hauptstadt Port Louis leidet zunehmend unter den Folgen des Klimawandels: Die Tage, an denen er wegen Stürmen, hohen Wellen oder Überflutung geschlossen werden musste, ist von fünf im Jahr 2010 auf 41 im Jahr 2018 gestiegen – was der Wirtschaft ernsthaft schadet.

Zurück zur Weltklimakonferenz in Madrid: Wie bewerten Sie das Ergebnis?

Mit dem Ergebnis bin ich natürlich überhaupt nicht zufrieden, die Gründe dafür liegen auf der Hand. Die Industrieländer haben wieder einmal wichtige Entscheidungen zur Bekämpfung der Ursachen des Klimawandels vertagt. Wir haben erwartet, dass sie ihrer historischen Verantwortung gerecht werden, ihre Ziele deutlich anheben und besonders betroffene Länder finanziell unterstützen, damit sie schnell Anpassungsmaßnahmen umsetzen können. Der Anteil Mauritius’ an den globalen Treibhausgasemissionen beträgt 0,01 Prozent, auf alle SIDS zusammen entfällt weniger als ein Prozent. Aber sie sind am schnellsten und stärksten vom Klimawandel betroffen. Mauritius trägt, wie viele Entwicklungsländer auch, seinen Teil zum Kampf gegen den Klimawandel bei. Das Gleiche sollten die Industrieländer tun. Trotz unserer begrenzten Mittel investieren wir jedes Jahr rund 2,15 Prozent unseres Bruttoinlandsprodukts in Anpassungs- und Minderungsmaßnahmen, das sind etwa 10,3 Milliarden Rupien (Anm.: 256 Millionen Euro). Geld, das dazu dienen sollte, die Armut zu verringern und den Sozialstaat zu stärken, fließt nun in den Klimaschutz.

Was erwarten Sie konkret von der internationalen Gemeinschaft?

Selbst wenn wir ab sofort keine Treibhausgase mehr ausstoßen würden, würden wir die Folgen des Klimawandels noch über Jahrzehnte spüren. Deshalb geht es vor allem um Anpassungsmaßnahmen. Zusätzlich zu meinem Appell an die Industrieländer, ihren Treibhausgasausstoß zu reduzieren, dränge ich auch auf finanzielle und auf technische Unterstützung in Form von Technologietransfer und Kapazitätsaufbau.

Auf der COP haben 73 Staaten erklärt, dass sie ihre Klimapläne ambitionierter gestalten wollen, darunter Mauritius. 72 Länder wollen bis 2050 CO2-neutral wirtschaften, auch da ist Mauritius dabei. Was sind die wichtigsten Schritte dorthin?

Unser bisheriges Ziel ist eine Verringerung des CO2-Ausstoßes um 30 Prozent bis 2030. Dieses Ziel kommt nun im Rahmen der NDC-Überarbeitung auf den Prüfstand. Derzeit arbeiten wir an einem nationalen Klimaaktionsplan. Er soll unter anderem Risiken und Anpassungsmaßnahmen in den wichtigsten Wirtschaftssektoren ermitteln, die vom Klimawandel betroffen sind, darunter Tourismus, Wasser, Landwirtschaft, Fischerei, Infrastruktur und Gesundheitswesen. Eine Resilienzstrategie ist ebenfalls in Arbeit. Im Dezember haben wir außerdem einen nationalen Konsultationsprozess zum übergreifenden Thema „Umwelt“ – inklusive Klimaschutz – eingeleitet. Das Ergebnis soll ein Zehn-Jahres-Masterplan für einen ökologischen Wandel sein. Grundlegende Bestandteile dieses Plans sollen den Weg zu CO2-Neutralität ebnen. Beispiele sind der Ausbau erneuerbarer Energien, emissionsarmer Verkehr und der Aufbau einer Kreislaufwirtschaft.

Wie bereits angesprochen, schreitet der Klimawandel auch trotz Gegenmaßnahmen weiter voran. Denken Sie, dass die Mauritier eines Tages zu Klimaflüchtlingen werden könnten?

Ich hoffe inständig, dass es nicht dazu kommt. Einige der zu Mauritius gehörenden Inseln ragen allerdings nicht mehr als ein bis zwei Meter über den Meeresspiegel hinaus, zum Beispiel Agalega und Saint Brandon. Diese könnten tatsächlich unbewohnbar werden. Die Menschen, die dort leben, müssten dann auf die Hauptinsel umgesiedelt werden.