Kältetod bei 16 Grad

Diese Kolumne handelt vom Wetter. Halt! Nicht gleich gähnen und umblättern! Das Wetter ist ein wahnsinnig spannendes Thema, das stets brandaktuell ist und ausnahmslos jeden betrifft. Der beste Beweis dafür ist die Tatsache, dass die Leute ständig darüber reden. Und zwar nicht nur in Deutschland, wo es ständig etwas zu meckern gibt - was nicht nur für das Wetter gilt, aber dafür besonders -, sondern auch in Thailand mit seinem sonnigen TUI-Prospekt-Ruf.

Ach, wie schwärmen sie, die fröstelnden Bleichgesichter in den gemäßigten Breiten, mit ihrem heißen Tee und ihren Wollsocken: vom tropischen Traum, Luft 30 Grad, Wasser 30 Grad, nur der Cocktail bitte gut gekühlt. Besonders schwärmen immer diejenigen, die gerade nicht mal eben so über Neujahr hereinfliegen können. Die es doch können, merken nach dem Abflauen der Anfangseuphorie, dass es am Strand Sandflöhe gibt oder im Meer brennende Quallen oder dass es den ausgesuchten Cocktail gerade nicht gibt. „Mai mii.“ Die Ananas ist aus. Irgend etwas ist ja immer.

Aber zurück zum Thema. Die Katastrophe des Jahres 2011 war ja das Hochwasser. Und darüber will ich mich jetzt auch wirklich überhaupt nicht lustig machen, auch wenn die Performance einiger Beteiligter beziehungsweise Verantwortlicher direkt dazu einlädt. Die Katastrophe des Jahres war eher nach Südthailand verlagert als wirklich überstanden, da rollte schon die nächste an. Am 13. Dezember konnte der schockierte Leser der Bangkok Post entnehmen: „Two found dead as cold spell moves in“. Eine 49-jährige Witwe in Chonburi war am Vortag früh morgens mit einer Erkältung aufgewacht - verursacht durch den plötzlichen Kälteeinbruch, der das Land heimsuchte, wie ihr Sohn der Polizei mitteilte - und kurze Zeit später gestorben. Bei dem zweiten Kälteopfer handelte es sich um einen 36-Jährigen aus Trat, der nach einem Trinkgelage nur mit Shorts bekleidet und ohne Decke ins Bett gegangen war. Seine Mutter fand ihn am Morgen tot auf, und da keine Spuren von Gewalt zu erkennen waren, folgerte die Polizei: Todesursache: Herzversagen oder tödliche Temperaturen.

In Chonburi und Trat, beides südlich von Bangkok gelegen, herrschten zum fraglichen Zeitpunkt meinen unvollständigen Recherchen zufolge nicht weniger als 16 Grad vor. Plus, versteht sich. Ein Kältetod bei 16 Grad wäre natürlich eine Nachricht, da stimme ich ganz mit der Redaktion der Bangkok Post überein. Und wer bei diesen Temperaturen halbnackt und ohne Decke schläft, kann sich ganz bestimmt eine fiese Erkältung einfangen. Die genaue Todesursache bedürfte allerdings meines Erachtens in beiden Fällen weiterer Untersuchungen, um ganz sicher zu sein, dass nicht doch weitere Faktoren eine klitzekleine Rolle spielten.

Die wirkliche Kältewelle schlug indes unbarmherzig in Nordthailand zu, wie dem selben Artikel zu entnehmen war. Die Fakten: 400 betroffene Dörfer, zwei Provinzen zu Katastrophengebieten erklärt. Das Ausmaß: vier Grad plus auf dem Doi Inthanon, dem höchsten Berg Thailands (zweieinhalb Tausend Meter); in einigen Berggebieten wurde an vereinzelten Stellen sogar Frost entdeckt. Fehlte nur noch der Schnee - ja, auch das hat es schon gegeben! Es ist ein einschlägiges Foto aus dem Jahr 1955 aus Chiang Rai überliefert.

Und das war erst der Anfang. Bis zum 18. Januar wurden 38.187 Dörfer in 397 Distrikten von 33 der 77 Provinzen Thailands zu „Cold Spell Desaster Zones“ erklärt, also quasi der gesamte Norden und Nordosten des Landes. Im Wetterbericht der Bangkok Post stand nun täglich: „People are advised to wear warm clothes.“ Da frage ich mich: Für wie blöd hält die Zeitung eigentlich ihre Leser? Wer die Möglichkeit hat – was vermutlich bei hundert Prozent der englischsprachigen, ergo gebildeten, und weitgehend gut situierten Bangkok-Post-Leserschaft der Fall ist – wählt seine Garderobe in der Regel adäquat zu den Wetterverhältnissen aus. Ohne allmorgendlich eine schriftliche Aufforderung durch die Zeitung abzuwarten. Wer die Möglichkeit nicht hat – wie eine ganze Menge armer Leute in den nördlichen Provinzen, großenteils Angehöriger ethnischer Minderheiten, die ganz sicher nicht die Bangkok Post lesen – dem hilft auch ein derartiger Hinweis rein gar nichts. Ihnen blieb nur, sich in die Sonne zu hocken und auf Kleidungsspenden oder die amtlich verteilten Decken zu warten.

Jedes Übel in der Welt hat auch eine gute Seite, da war der thailändische Kälteeinbruch keine Ausnahme. Er zog Touristen an. Tausende kamen täglich, um den Frost zu sehen, manche warteten tagelang zitternd vor Aufregung und Kälte ab, bis die Temperatur endlich unter den Gefrierpunkt fiel. Das Wunder geschah, das Wasser veränderte seinen Aggregatzustand. Juchuh! Schimmernde Eisperlen verwandelten Wiesen und Sträucher in ein glitzerndes Feenland. „Tourists were impressed“, schrieb die Bangkok Post.

Ich habe es nicht nachgeprüft, aber ich gehe fest davon aus, dass es sich um einheimische Touristen handelte. Die sonst allgegenwärtigen Russen oder Skandinavier würden sich doch wie nach Athen getragene Eulen fühlen. Sie lagen wahrscheinlich zur gleichen Zeit nichtsahnend auf irgendeiner Insel am Strand und träumten den tropischen Traum. Das ist das Schöne an Thailand, sogar am Wetter: Für jeden ist etwas dabei.