Kambodscha setzt ein Zeichen

Das machen die Kambodschaner doch extra! Schon bei der Einreise wird jeder Thai- und sonstige Ausländer mit dem Preah-Vihear-Tempel konfrontiert: Er prangt auf der Arrival-Card. Prangt da und sendet: „Ich bin Weltkulturerbe! Und ich gehöre zu Kambodscha! Und das ist international so festgelegt!“

Jawohl, Kambodscha setzt ein Zeichen, ein Zeichen für einen kleinen Sieg über das so viel größere und mächtigere Nachbarland. Und dieses Zeichen drückt die freundlich lächelnde – womöglich von der Brisanz des Zettelchens nichts ahnende – Stewardess, spätestens aber ein Grenzbeamter jedem Besucher in die Hand. Niemand kommt darum herum.

Die sonstigen Ausländer bemerken den Affront vielleicht gar nicht. Aber Thailändern muss sich unmittelbar vor der Ankunft in Kambodscha, beim Erledigen einer kleinen, nunmehr zur Gemeinheit mutierten Formalität, der Magen umdrehen. Was für ein Start. Und dieser Schlag ins Gesicht – oder in die Magengrube – thailändischer Gäste findet seine Fortsetzung in Preah-Vihear-Plakaten an Phnom Penhs Straßen, Preah-Vihear-Bildern auf Tourismus-Brochüren, Preah Vihear einfach überall.

Ich bin mir ganz sicher, dass die Kambodschaner das extra machen. Schon allein deshalb, weil früher – also bevor dieser Tempel da irgendwo JWD 2008 von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt wurde und der Streit mit Thailand von einem unbeachteten Flämmchen zu einem international für Schlagzeilen sorgenden Beinahe-Krieg aufloderte – überhaupt nicht die Rede von ihm war. Warum auch. Kambodscha hat ja Angkor, und das ist viel größer, toller und berühmter. Auf der Arrival-Card prangte früher natürlich Angkor Wat – wie auf allem anderen von der Bierdose bis zur Nationalfahne auch. Nein nein, die Fahne wurde nicht geändert, dieses Zeichen wäre dann wohl doch eine Nummer zu groß.

Angkor ist viel besser zu erreichen als der Preah Vihear, und es gibt in unmittelbarer Nähe jede Menge Hotels, Restaurants und Souvernirläden. Man kann Angkor fünf Tage lang besichtigen und immer noch neue Tempel sehen. Am Preah Vihear dagegen gibt es nur den Preah Vihear, und den hat der durchschnittliche Besucher in etwa einer Stunde „gesehen“. Die Fahrt dorthin ist beschwerlich, zumindest das letzte Stück, und es gibt keine vernünftigen Hotels und Restaurants in der Nähe. Zum Preah Vihear fahren daher höchstens einige Motorradfreaks und andere Abenteurer, Archäologie-Enthusiasten sowie Hardcore-Asienreisende, die von Ayutthaya über Angkor bis Bagan bereits alles gesehen haben und auf der Suche nach neuen Entdeckungen sind. In der ersten Hälfte 2011 kamen genau 1095 Ausländer. 1095! Das sind sechs am Tag.

Von thailändischer Seite aus gehört ein Besuch des Preah Vihear schon gar nicht zu den touristischen Highlights. (Abgesehen davon kommt man zurzeit überhaupt nicht hin.) Ohne diese allseits bekannten Highlights nun aufzählen zu wollen: Thailand hat allein fünf Weltkulturerbestätten und diesen ollen Khmer-Tempel doch gar nicht nötig. Der ja sowieso zu Kambodscha gehört, was ja auch offiziell niemand bestreitet. Umstritten ist lediglich, so weit ich das verstanden habe, ein genau 4,6 Quadratmeter großes Stück Wiese und Geröll neben dem Tempel. Aber warum? Wenn man mal alle innenpolitischen Interessen, übersteigerten Nationalismus und vielleicht einen gewissen Frust über die Entscheidung des Internationalen Gerichtshofs von 1962 beiseite lässt – welcher Grund bleibt dann noch, bis aufs Blut um diese Geröllwiese zu kämpfen?!

Ich weiß es nicht. Ich sehe nur, was alle sehen: Dass in diesem Jahr weder UNESCO-Mitarbeiter noch internationale Beobachter auch nur in die Nähe des Preah Vihear fahren konnten. Dass die Gegend eher Armee-Lager als Urlaubsgebiet ist. Dass das Auswärtige Amt – und nicht nur das deutsche – „dringend“ von Reisen dorthin abrät.

Einen offensichtlichen Gewinn zieht aus diesem Konflikt weder Thailand noch Kambodscha, im Gegenteil: Beide Seiten haben darüber in diesem Jahr Dutzende Menschenleben und einen Teil ihres internationalen Rufes eingebüßt. Am ehesten profitiert vielleicht der Tempel: Wie bei der UNESCO nachzulesen ist, ist der Preah Vihear vor allem deshalb so gut erhalten, weil Jahrhundertelang niemand auf ihm herumgetrampelt ist. Und er ist unter anderem deshalb besonders schön, weil er sich architektonisch in die natürliche, also unberührte Umgebung einpasst. Beides würde unter Massentourismus unweigerlich leiden.

Seit dem Regierungswechsel in Thailand ist vom Preah Vihear nicht mehr viel die Rede. Vielleicht einigen sich die nunmehr wieder befreundeten Machthaber in Bangkok und Phnom Penh ja demnächst auf irgendetwas. Machen die Grenze auf und ziehen die Soldaten ab. Dann kommen auch wieder mehr Abenteurer und Archäologie-Enthusiasten. Der gemeine Massentourist hingegen wird erst kommen, wenn Ayutthaya und Angkor in Zukunft dauerhaft im Wasser stehen sollten. Dann könnte der Preah Vihear auf seinem Hügel JWD zu einer echten Alternative avancieren. Aber das sollten wir allen drei Weltkulturerbestätten nicht wünschen.

Zum Schluss noch ein gut gemeinter Rat an Kambodscha: Nehmt doch den Preah Vihear wieder von der Arrival-Card. Dieses Zeichen wirkt irgendwie kindisch.