Fossile Brennstoffe? Nein danke!

Die Fossil-Free-Kampagne fordert Anleger auf, ihr Kapital aus Industriezweigen abzuziehen, die ihr Geld im Wesentlichen mit Kohle, Öl und Erdgas verdienen. Die Resonanz ist groß.

Die Idee ist simpel. Konzerne brauchen Kapital, um zu investieren, um zu expandieren. Das gilt selbstverständlich auch für Unternehmen der fossilen Energiewirtschaft. Kapital bekommen sie von privaten und Öffentlichen Anlegern, etwa über Aktien, Anleihen oder Fondsanteile. Wenn die Anleger den Klimakillern aber das Geld entziehen, wird ein Teufelskreis in Gang gesetzt. Projekte kommen nicht zustande, Gewinne, Ratings und Aktienkurse fallen, das Image schwindet bis am Ende niemand mehr dem Geschäftsmodell der Konzerne vertraut und keiner mehr wagt, ihnen Kredit zu gewähren.

Diese Idee wurde zur Taktik; und sie findet weltweit immer mehr Anhänger. Die Anhänger nennen die Taktik „Divestment“, zu Deutsch „Desinvestition“ oder auch „Besitzentziehung“. Damit lässt sich nicht nur der fossile Energiesektor schwächen. Erfolgreiche Divestment-Kampagnen gingen in der Vergangenheit gegen die südafrikanische Apartheidsregierung vor, gegen die Tabakindustrie und gegen den sudanesischen Staat, der den Genozid in Darfur stoppen sollte. Aktuell wird Divestment - neben anderen Boykottmaßnahmen - im Kampf gegen die israelische Siedlungspolitik eingesetzt.

Die Fossil-Free-Bewegung ist die jüngste und gleichzeitig bislang größte Divestment-Kampagne. Vor etlichen Jahren von Studenten in den USA gestartet, nahm sie dort 2012 nach einem durchschlagenden Artikel des Autors und Umweltaktivisten Bill McKibben in der Zeitschrift Rolling Stone und unter der Regie der von McKibben gegründeten Gruppe 350.org rasant an Fahrt auf. Ein Jahr später schwappte sie nach Deutschland über. Fossil Free will durch Divestment nichts weniger als den Planeten retten. Es geht darum, so wenig Kohlendioxid wie möglich in die Atmosphäre zu blasen, was voraussetzt, nur noch einen Bruchteil der bekannten Reserven an Kohle, Öl und Erdgas zu nutzen.

Rückenwind erhält die Bewegung nicht nur von der hochkochenden Klimadebatte. Sondern auch von Ökonomen, die Investoren aus ganz anderen Gründen dazu raten, ihr Kapital von Kohle, Öl und Gas zu befreien. Das Stichwort heißt Kohlenstoffblase - noch geläufiger auf Englisch: Carbon Bubble, oder auch CO2-Bilanzbombe.

Hintergrund der Kohlenstoffblase ist die Tatsache, dass ein Großteil der Reserven an fossilen Brennstoffen, die in den Bilanzen großer börsennotierter Unternehmen stecken, wertlos ist, wenn die Erderwärmung - wie von den G7 auf Schloss Elmau versprochen und als weltweit verbindliches Ziel für die Weltklimakonferenz in Paris angestrebt - tatsächlich auf zwei Grad begrenzt wird. Sie dürfen nicht verbrannt werden. Ihre Nutzung würde das Klimaziel konterkarieren.

Wissenschaftler haben ausgerechnet, dass die Menschheit nur noch 565 Milliarden Tonnen Kohlendioxid ausstoßen darf, wenn sie das Zwei-Grad-Ziel ernst nimmt. In den ausgewiesenen Reserven der Energiekonzerne und Ölstaaten stecken Schätzungen zufolge aber Emissionen von 2795 Milliarden Tonnen CO2. Somit dürfte nur knapp ein Fünftel der bekannten Reserven tatsächlich gefördert und verfeuert werden.

Die Zahl ist zwar umstritten. So schätzt die Internationale Energieagentur (IBA), dass zum Erreichen des Zwei-Grad-Ziels noch rund ein Drittel der bekannten fossilen Energiereserven verbraucht werden darf, und der Klimachef der britischen Großbank HSBC, Nick Robins, geht nach einem Bericht des Telegraph sogar von bis zur Hälfte aus. Klar ist aber, dass Unternehmen mit fossilen Energiereserven nach dieser Lesart weit überbewertet sind - nämlich so, als ob all ihre Reserven auch tatsächlich ausgebeutet würden. Dazu gehört auch der deutsche Energieriese RWE: Er ist eins von 200 börsennotierten Unternehmen, die den Großteil der verzeichneten Kohle-, Öl- und Gasreserven besitzen.

Manche Finanzexperten halten die Kohlenstoffblase für eine relevante Gefahr für die internationalen Kapitalmärkte. Die Organisation Carbon Tracker Initiative schätzt, dass 20 bis 30 Prozent der gesamten Marktkapitalisierung der Börsen von Sydney, London, Moskau, Toronto und Sao Paolo auf der Förderung von fossilen Energieträgern beruhen.

Mit der Gefahr beschäftigt sich demnächst der Europäische Ausschuss für Systemrisiken. Das hat Zentralbankchef Mario Draghi den deutschen Europaabgeordneten der Grünen Sven Giegold und Reinhard Bütikofer sowie dem EU-Parlament im März in seiner Antwort auf eine entsprechende Anfrage zugesichert. Die Bundesregierung prüft die Möglichkeit, ein eigenes Forschungsgutachten zu dem Thema in Auftrag zu geben. Das geht aus ihrer Antwort von Ende Mai auf eine Kleine Anfrage der Grünen hervor. Und die G20 haben eine Prüfung beim Finanzstabilitätsrat in Auftrag gegeben, einer internationalen Organisation, die das globale Finanzsystem überwacht und Empfehlungen ausspricht.

Es gibt aber auch Finanzexperten, die die Kohlenstoffblase für eine Illusion halten. Zu ihnen gehört Michael Schröder, Leiter des Forschungsbereichs Internationale Finanzmärkte und Finanzmanagement im Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW). „Die Weltgemeinschaft wird sich schlicht nicht an die CO2-Reduktion halten“, glaubt er - selbst wenn die G7 mit gutem Beispiel vorangehen sollten. „Ein großer Teil des Erdöls ist im Besitz der Opec-Länder, welches Interesse sollten die daran haben, ihr Öl nicht mehr zu fördern?“ Allerdings werden auch die Opec-Staaten all ihr Öl kaum selbst verbrennen. Sie sind auf eine Nachfrage auf dem Weltmarkt angewiesen. Sollte diese tatsächlich einbrechen - was sich Schröder nicht vorstellen kann, wären allerdings nicht nur die Finanzmärkte in Gefahr. „Das wäre ein volkswirtschaftliches Desaster“, sagt der Ökonom. „Ganze Volkswirtschaften hängen letztlich immer noch von den fossilen Energien ab.

“Während die mögliche Kohlenstoffblase gerade erst Gestalt annimmt, schreitet das Divestment munter voran. Städte, Unis, Stiftungen und andere Großanleger, die direkt oder über Banken in die fossilen Energieunternehmen investieren, ziehen ihr Kapital ab. Der Weltkirchenrat ist dabei, der Versicherungskonzern Axa und die Rockefeller-Stiftung. San Francisco und Oxford, die Uni von Hawaii und Prinz Charles sowie zahllose weitere Anleger.

Oft gibt Druck von Bürgern den Ausschlag. Laut Fossil Free wirken sie derzeit in Kampagnen auf der ganzen Welt auf mehr als 500 Institutionen, Behörden, Unis, Rentenfonds, religiöse und medizinische Einrichtungen ein, ihre Investitionen in Kohle, Öl und Gas aufzugeben. In Deutschland sind laut Tine Langkamp von 350.org Gruppen in 18 Städten aktiv. „Es gibt ein kontinuierliches Wachstum, die Bewegung wird immer stärker“, sagt sie.

Den Anfang machten 2013 Studierende in Münster, dort verzeichnet Fossil Free Deutschland auch seinen größten Fortschritt: „Der Stadtrat hat beschlossen, neue Anlagerichtlinien für den zehn Millionen Euro schweren Pensionsfonds der Stadt festzulegen, aber auch für andere Beteiligungen und Investitionen“, berichtet Langkamp. Bevor der Beschluss in allen Instanzen abgesegnet sei, was bis Ende des Jahres erwartet werde, wolle man ihn aber noch nicht feiern. „Es wird sich noch zeigen, wie er umgesetzt wird und ob wirklich alle Gelder in der fossilen Brennstoffindustrie betroffen sind.“

Öffentliche Unterstützung erhält die Kampagne von moralischen, politischen und wirtschaftlichen Schwergewichten wie UN-Generalsekretär Ban Ki-moon, dem ehemaligen anglikanischen Erzbischof und Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu, der UN-Klimarahmenkonvention, US Präsident Barack Obama und Weltbankpräsident Jim Yong Kim.

Ihren bislang größten Erfolg auf internationaler Bühne feierte die Bewegung im Juni, als das norwegische Parlament Kohle-Divestment für den staatlichen Pensionsfonds beschloss: Ausgeschlossen werden sollen alle Unternehmen, die mehr als 30 Prozent ihrer Einkünfte oder ihrer Stromproduktion mit Kohle generieren. Der Fonds ist der größte Staatsfonds der Welt und bis dato einer der Top-Ten-Investoren in der globalen Kohleindustrie.

Die Umsetzung des Divestments soll im Januar 2016 beginnen. Nach Berechnungen des Umweltschutzvereins Urgewald werden dann voraussichtlich 7,7 Milliarden Euro umgeschichtet und 122 Unternehmen der Kohleindustrie ausgeschlossen. Die veränderte Anlagestrategie trifft auch die deutschen Energieversorger Eon, RWE und Vattenfall. Laut Urgewald ist der norwegische Fonds sogar einer der größten Anteilseigner bei RWE und Eon.

Der WWF Norwegen fordert nun, einen Teil des frei werdenden Geldes in Infrastruktur für erneuerbare Energien zu investieren, auch in Unternehmen, die nicht an der Börse notiert sind. Auch andere Organisationen empfehlen, das Fossil-Fuel-Divestment mit nachhaltigen Anlagen zu verbinden. Raus aus Kohle und Öl, rein in Sonne und Wind: Wenn große Summen nach diesem Grundsatz umgeschichtet werden, kann das der Erneuerbaren-Branche einen ungeahnten Schub geben.

Wie viel Geld insgesamt bereits neu investiert wurde, lässt sich kaum nachvollziehen. Die Organisation 350.org geht von mehr als 50 Milliarden Euro aus. Täglich werden die
Verpflichtungen für den Abzug von Geldern aus Kohle, Öl und Gas größer. „Divestment geschieht nicht von heute auf morgen“, erklärt Langkamp. „Unsere Ziele beziehen sich auf Divestment innerhalb von maximal fünf Jahren und das sofortige Einfrieren neuer fossiler Investitionen.“

Energieunternehmen etwa in den USA und Australien reagieren bereits mit PR-Maßnahmen auf die Kampagne. Shell-Geschäftsführer Ben van Beurden bezeichnete sie im April auf einer Pressekonferenz an der Londoner Börse als „Nebelkerze“. Sie ignoriere die Tatsache, dass allein 80 Prozent der Investitionen in der Branche nötig seien, um den Status quo zu erhalten. Deutsche Unternehmen verhielten sich dagegen bislang still. Dass Eon, RWE und Co durch das Abziehen einiger Millionen wirtschaftlich ins Straucheln gebracht werden können, glaubt Langkamp nicht.

Diese Auffassung teilt auch Schröder. „Wenn viele ihre Anteile verkaufen, ergibt sich daraus eine gute Kaufgelegenheit für andere“, sagt er. Aktien wechselten dann lediglich den Besitzer. Einen Kursrückgang hält der Ökonom zwar für möglich. Ein Problem entstehe für die Unternehmen aber erst, wenn sie neues Kapital bräuchten.

„Energieunternehmen haben normalerweise einen hohen Cashflow und sind nicht darauf angewiesen, an der Börse Geld aufzunehmen“, erklärt Schröder. Viel mehr könnte ausgerichtet werden, wenn Verbraucher massenhaft zu Ökostromanbietern wechselten und kritische Aktionäre sich in den Hauptversammlungen stärker zu Wort meldeten.

Die größten Einflussmöglichkeiten von Fossil Free sieht daher auch Langkamp in einem Imageschaden für die Industrie. „Die Kampagne zielt auf die Politik ab“, sagt sie. Sie bereite den Boden für eine öffentliche Debatte, für gesellschaftlichen Druck und mache eine restriktivere Politik gegenüber der fossilen Energiewirtschaft schließlich möglich. So jedenfalls ist die Hoffnung. Das PR-Ziel der Bewegung? „Ein gesellschaftlicher Konsens darüber, dass das Zeitalter der fossilen Brennstoffe unwiederbringlich vorbei ist. Wenn auf jedem Fahrrad und Fahrzeug in Deutschland ein „Fossile Brennstoffe? Nein danke!“-Aufkleber klebt, dann haben wir es geschafft.“