Kein einziges Wort gegen den König

Die Regierung droht den Bürgern bei Majestätsbeleidigung mit bis zu 15 Jahren Haft. In keinem anderen Land ist man so unerbittlich.

Zwei Thailänderinnen haben es auf die diesjährige Liste der „150 Frauen, die die Welt bewegen“, geschafft: Yingluck Shinawatra und Chiranuch Premchaiporn. Yin­glucks Platz als Regierungschefin ist reine Formsache. Dagegen wird mit Chiranuch eine – wie es im US-Magazin News­week heißt – „furchtlose Frau“ geehrt, die ihre persönliche Freiheit für die Presse- und Meinungsfreiheit aller Thailänder opfert. Chiranuch erwartet als Herausgeberin der Internetzeitung Prachatai ein Urteil, das sie für 20 Jahre ins Gefängnis bringen kann. Am 30. April soll es von einer Strafkammer in Bangkok verkündet werden.

Chiranuch wird eines Vergehens beschuldigt, das in Thailand wie ein Kapitalverbrechen geahndet werden kann: Majestätsbeleidigung. Der umstrittene Lèse-Majesté-Paragraf 112 des Strafgesetzbuches sieht dafür drei bis fünfzehn Jahre Gefängnis vor. Bei Internet-Veröffentlichungen, die dazu angetan sind, die Königsfamilie zu diffamieren, wird zudem das Computerkriminalitätsgesetz herangezogen – daher rührt das mögliche Strafmaß von 20 Jahren im Fall Chiranuch.

Und so viel steht fest, das südostasiatische Land – seit 70 Jahren konstitutionelle Monarchie – hat das härteste Lèse-Majesté-Gesetz der Welt. Der Hauptvorwurf gegen Chiranuch lautet, majestätsbeleidigende Blogs von Nutzern ihrer Webseite nicht gelöscht zu haben. Derartige Inhalte unterliegen einem generellen Publikationsverbot. Wer sich nicht daran hält, kann wegen Majestätsbeleidigung belangt werden.

Alias „Onkel SMS“

Die Affäre um Webmasterin Chiranuch ist eine von vielen. Seit dem Militärputsch im September 2006 gegen die Regierung von Yinglucks Bruder Thaksin Shinawatra hat die Strafverfolgung im Sinne von Paragraf 112 dramatisch zugenommen. Gab es bis dahin lediglich eine Handvoll Lèse-Majesté-Verfahren im Jahr, befassten sich die Gerichte seither mit 1.035 Fällen. Dazu verhängte Urteile sorgten auch international für Aufsehen. So wurde im November 2011 der 61-jährige Ampon Tangnoppakul alias „Onkel SMS“ zu 20 Jahren Haft verurteilt, weil er vier Kurznachrichten, die Königin Sirikit beleidigt haben sollen, an den Sekretär des einstigen Premiers Abhisit Vejjavija geschickt hatte. Kurz darauf traf es den aus Thailand stammenden US-Bürger Joe Gordon, der zweieinhalb Jahre absitzen muss, weil er Auszüge einer verbotenen Biografie über König Bhumibol ins Thailändische übersetzte und auf eine Webseite stellte.

Ende 2011 gab es 15 Jahre Haft für die Journalistin Daranee Charnchoengsilpakul, weil sie 2008 eine die Monarchie anzweifelnde Rede hielt. Kritiker werfen der Regierung vor, sie missbrauche das Lèse-Majesté-Gesetz, um Exempel zu statuieren und Gegner mundtot zu machen. Die Botschaft laute: Jeder sollte unbedingt vorsichtig sein. Umso mehr wollen Rufe nach einer Gesetzesrevision nicht verstummen. Hungerstreiks von Familienangehörigen Verurteilter vor dem Strafgerichtshof schüren die Debatte. Angeführt wird die Bewegung, zu der Schriftsteller, Akademiker und andere Aktivisten zählen, von der Gruppe Nitirat (Recht für das Volk). In ihr haben sich Jura-Dozenten der Thammasat-Universität von Bangkok vereint, die verlangen, dass die Mindeststrafe von drei Jahren Haft für Majestätsbeleidigung bestenfalls als Höchststrafe verhängt werden darf.Überwiegend sollten Geldbußen möglich sein.

„Die Strafe von drei Jahren ist zu hoch, und sie ist ungerecht“, begründet einer der Aktivisten den Vorstoß. Künftig sollte nur der Sekretär des Königshauses berechtigt sein, Anklage wegen Majestätsbeleidigung zu erheben. Auch müsse es Angeklagten vor Gericht erlaubt sein, eine als Majestätsbeleidigung eingestufte Aussage zu begründen. Wenn sie wahr ist und zugleich „nützlich für die Gesellschaft, weil sie dem Erhalt eines demokratischen Rechtsstaates dient“, wie es die Gruppe Nitirat formuliert, sollte Straffreiheit gelten. Die Juristen ernten viel Widerspruch für ihre Kampagne. Die Yingluck-Regierung lässt keinen Zweifel, dass es unter ihrer Führung keine Gesetzeskorrektur gibt, wie sie im Übrigen auch von allen Oppositionsparteien abgelehnt wird. Führende Militärs, die sich der Monarchie verbunden fühlen, können derartigen Überlegungen gleichfalls nichts abgewinnen. „Wer das thailändische Gesetz für ungerecht oder hart hält, sollte gehen und im Ausland leben“, so Armeechef Prayuth Chan-ocha.

Folter- und Mordaufrufe

Nitirat-Mitglied Worajet Pakeerat droht wegen seines Engagements ein Disziplinarverfahren an der Universität. „Dem werde ich mich stellen“, meint er, „ich tat nichts Falsches.“ Mehr Sorge bereitet ihm seine persönliche Sicherheit: Ende Februar wurde er von zwei Männern auf dem Campus zusammengeschlagen. Für den Juristen, der in Göttingen promoviert hat, steht fest, dass es sich um Auftragstäter handelte. Rechtlich könne man ihm nichts anhaben, daher werde auf illegale Praktiken zurückgegriffen. Einigen Kommentatoren in Internetforen ging der Überfall nicht weit genug – sie ergingen sich in Folter- und Mordaufrufen gegen Nitirat. Trotzdem will die Gruppe weitermachen. Er habe Angst, gibt Worajet zu, aber es lohne sich, Angst zu haben, wenn man mit seinem Einsatz dem Volk diene. „Das jetzige Gesetz schadet Thailand“, ist er überzeugt. Gerade um die Monarchie zu erhalten, seien Reformen nötig.

Beim Streit um Majestätsbeleidigung geht es nach dem Eindruck des amerikanischen Südostasien-Historikers David Streckfuss weniger um Recht und Gesetz als vielmehr um Glauben. „Majestätsbeleidigung wird als Blasphemie wahrgenommen“, meinte der im nordöstlichen Khon Kaen lehrende Lèse-Majesté-Experte im März auf einer Konferenz in Bangkok. Der 84-jährige König, seit 1950 auf dem Thron, werde von vielen seiner Untertanen verehrt wie ein Gott. Rationale Argumente hätten es da schwer. Das weiß auch Worajet. Doch das Verständnis für Nitirat wachse, besonders unter Akademikern, „auch wenn die meisten Thailänder wahrscheinlich noch gegen uns sind.“ Aber das müsse nicht ewig so bleiben.