Schwach und schweigsam

Zwar ist die freie Meinungsäußerung in Kambodscha als Verfassungsrecht verankert. Doch wer davon Gebrauch macht, muss mit Repressalien rechnen. Denn die Regierung des Landes regiert auf Kritik an ihre Politik äußerst empfindlich. Die meisten Journalisten bleiben daher stumm.

Mam Sonando nach seiner Freilassung. ©Foto: Katja Dombrowski
Mam Sonando nach seiner Freilassung. ©Foto: Katja Dombrowski

Mam Sonando zeigt sich kurz nach seiner Entlassung aus 98-tägiger Untersuchungshaft kämpferisch. „Ich werde meine Arbeit fortsetzen. Ich werde weiterhin wahre Informationen an die Menschen übermitteln – auch wenn ich dafür wieder ins Gefängnis muss.“ Die Erfahrung habe ihn darin bestärkt, sich weiter für Meinungsfreiheit und Menschenrechte in Kambodscha einzusetzen, erklärt der 64-jährige Radiomacher.

Mam Sonando ist Besitzer und Direktor von Sambok Khmum FM 105, einem der wenigen unabhängigen Radiosender Kambodschas. Wegen Verleumdung der Regierung wurde er im Oktober vergangenen Jahres angeklagt. Stein des Anstoßes: ein Interview mit Sean Pengse, dem Vorsitzenden der in Paris ansässigen Organisation „Cambodia`s Border Committee“. Sean Pengse hatte dem Ministerpräsidenten Hun Sen vorgeworfen, Vietnam mit der Unterzeichnung eines umstrittenen Grenzvertrages kambodschanisches Territorium zu überlassen.

Diese Kritik kam auch aus den Reihen von Oppositionspolitikern, Mitgliedern der Königsfamilie, Gewerkschaftern und Nichtregierungsorganisationen. Hun Sen, der eine Regierungskoalition aus seiner Cambodian People`s Party und der schwächeren royalistischen FUNCINPEC anführt, reagierte empfindlich: Er werde jeden vor Gericht bringen, der ihn wegen des Vertrags kritisiere, kündigte der „starke Mann“ Kambodschas an. Keine leere Drohung, wie sich an dem guten halben Dutzend Verleumdungsklagen zeigte, die kurz darauf folgten.

Einschüchterung

Mam Sonando vermutet, dass das Interview als Grund für seine Verhaftung nur vorgeschoben war. „Die Regierung will mich und andere Journalisten einschüchtern. Sie machen mir ständig Probleme“, sagt der Direktor von Sambok Khmum, der vor drei Jahren schon einmal wegen seiner Berichterstattung im Gefängnis saß. Der „Bienenkorb“, wie Sambok Khmum auf Deutsch heißt, ist für seine kritische politische Berichterstattung bekannt - und dafür, den Armen und Machtlosen im Land eine Stimme zu geben. Der in der Hauptstadt Phnom Penh ansässige Sender kann in den meisten Provinzen Kambodschas empfangen werden. Zum Missfallen der Regierung strahlt er die Programme von Radio Free Asia und Voice of America aus.

Vier Tage nach Mam Sonando wurde Rong Chhun, der Vorsitzende einer Lehrergewerkschaft, verhaftet, weil er sich kritisch zu dem Grenzvertrag geäußert hatte. Weitere Kambodschaner, gegen die Verleumdungsklagen angestrengt wurden, konnten ins Ausland flüchten. Als Reaktion auf die zunehmende Einschränkung des Rechts auf freie Meinungsäußerung gründete sich Ende November die Alliance for Freedom of Expression in Cambodia. Der Allianz gehören mehr als 27 lokale Menschenrechtsgruppen, Gewerkschaften und andere Nichtregierungsorganisationen an. Aber keine Medien oder Journalistenverbände.

„Die Journalisten haben Angst, ebenfalls im Gefängnis zu landen“, erklärt Mam Sonando diese Zurückhaltung. Menschenrechtsaktivisten könnten aufgrund ihrer Unterstützung aus dem Ausland den Mund etwas weiter aufmachen. Seine eigene Freilassung habe er lediglich der Tatsache zu verdanken, dass Kem Sokha, Direktor des Cambodian Center for Human Rights und Kambodschas prominentester Menschenrechtsaktivist, am Silvestertag verhaftet wurde – ebenfalls wegen Verleumdung im Zusammenhang mit dem umstrittenen Grenzvertrag. Auf massiven internationalen Druck hin, vor allem aus den USA, ordnete Hun Sen die Freilassung Kem Sokhas sowie dreier weiterer Gefangener an: Mam Sonandos, Rong Chhuns und Pa Nguon Teangs.

Letzterer ist Kem Sokhas Stellvertreter. Und er ist für die Radiosendung „Voice of Democracy“ des Cambodian Center for Human Rights verantwortlich, die täglich acht Stunden über Sambok Khmum Radio und vier Stunden über einen anderen Sender ausgestrahlt wird. Pa Nguon Teang ist sich sicher, dass seine Verhaftung ein Versuch war, eine kritische Stimmen mundtot zu machen. Das Verhältnis sei angespannt. Mitglieder der Cambodian People`s Party boykottierten grundsätzlich Einladungen, Anfragen und Interviewwünsche von „Voice of Democracy“, und die Sendung werde auch schon mal von der Regierung gestoppt. Jüngstes Zensur-Beispiel: die Live-Berichterstattung über die Verhaftungen von Kem Sokha und Pa Nguon Teang: Sambok Khmum Radio musste die Übertragung abbrechen.

Wie Mam Sonando will auch Pa Nguon Teang seine Arbeit fortsetzen. „Wenn ich von meinem Recht auf freie Meinungsäußerung keinen Gebrauch machen kann, ist es das Gleiche, als wäre ich noch immer im Gefängnis“, sagt der Radioproduzent. Für die Mehrheit der Journalisten in Kambodscha gelte diese Einstellung jedoch nicht: „Es gibt bei uns keine Tradition, Risiken einzugehen. Die Journalisten sind schwach, sie haben Angst.“

Propaganda

Die überwiegende Mehrheit der Medien ist – direkt oder indirekt - staatlich kontrolliert. Laut einer Studie, die im vergangenen Jahr im Auftrag der Konrad-Adenauer-Stiftung erstellt wurde, betreibt oder kontrolliert die Cambodian People`s Party alle kambodschanischen Fernsehsender sowie die meisten Radiosender und Zeitungen. Einige Medien stehen unter dem Einfluss des kleineren Koalitionspartners FUNCINPEC; lediglich zwei Zeitungen schreibt die Studie der oppositionellen Sam-Rainsy-Partei zu. Die Berichterstattung beschränke sich zumeist auf Propaganda für die entsprechende Partei.

Auf die Frage nach den größten Problemen für den Journalismus in Kambodscha nennt Studien-Autor Puy Kea an erster Stelle die mangelnde Presse- und Meinungsfreiheit. „Hun Sen kontrolliert die Gerichte und die Medien, er kann machen, was er will.“ Ein weiteres Hindernis sei der Zugang zu Informationen. Dokumente seien nicht öffentlich; Politiker informierten nur Journalisten, die ihnen wohl gesonnen sind. Puy Kea beklagt ganz generell den Umgang der Regierenden mit Journalisten – und spielt vor allem auf die Praxis an, Reporter dafür zu bezahlen, dass sie berichten und wie sie berichten.

Der Journalist, der für eine asiatische Nachrichtenagentur arbeitet, bedauert, dass die kambodschanischen Journalisten nicht mit einer Stimme sprechen. In dem kleinen Land gibt es allein zwölf Journalistenverbände. Deren größter, der Club of Cambodian Journalists, in dem Puy Kea Vorstandsmitglied ist, hat nach eigenen Angaben 119 Mitglieder.

Die Spaltung ist den verschiedenen politischen Lagern geschuldet. Puy Kea kennt noch eine andere Erklärung: „Jeder will der Boss sein.“ Er wünscht sich einen Presserat für Kambodscha an Stelle des Informationsministeriums – und glaubt selbst kaum an die Erfüllung dieses Traums. „Das Informationsministerium kontrolliert alles, es würde nicht zulassen, dass ihm Macht entzogen wird.“

Kleiderordnung

Dass die Regierung die Freiheit der Medien weiter einschränkt, zeigt sich neben spektakulären Fällen auch an vielen kleinen Beispielen. So gab es jüngst Restriktionen für die Gerichtsberichterstattung, und eine strengere „traditionell kambodschanische“ Kleiderordnung für Fernsehauftritte wurde erlassen, nachdem das rückenfreie Outfit einer populären Sängerin das Missfallen des Ministerpräsidenten erregt hatte. Radio- und Fernsehsender dürfen Zeitungsartikel zudem nicht mehr vorlesen - eine Praxis, die zum einen eigene Recherche ersetzte, zum anderen Zeitungsinhalte an Leute transportierte, die keinen Zugang zu den Printmedien haben.

Die Entlassungen aus der Untersuchungshaft lassen sich zwar als Erfolg werten, doch existieren die Vorwürfe weiterhin. „Die Verleumdungsklagen hängen nun wie ein Damoklesschwert über Mam Sonando und den anderen Aktivisten; die Gerichtsverfahren sind nur vertagt“, so Vincent Brossel, Asienkoordinator von Reporter ohne Grenzen.

Mam Sonando fasst die Situation so zusammen: „In Kambodscha gibt es das Recht auf freie Meinungsäußerung. Aber auch das Recht auf Verhaftungen.“