Der Prozess gegen die Roten Khmer stagniert

Erst ein Täter wurde bisher wegen des Völkermords in Kambodscha verurteilt. Dem UN-Tribunal fehlt Geld, und ihm läuft ihm die Zeit davon.

Die Verbrechen von Kaing Guek Eav gehörten "zu den schlimmsten in der Geschichte der Menschheit". So steht es in der Urteilsbegründung im Prozess gegen die Roten Khmer. Der unter dem Namen "Duch" bekannte Leiter des berüchtigten Foltergefängnisses S-21 in Phnom Penh war im Juli 2010 im ersten Verfahren wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und schwerwiegenden Verstößen gegen die Genfer Konventionen zu 30 Jahren Haft verurteilt worden. Er trägt Verantwortung für den Tod von mehr als 12.000 Menschen.

In seinem nun abgewiesenen Berufungsantrag hatte Kaing Guek Eav auf Freispruch plädiert. Stattdessen folgte das Gericht, an dem kambodschanische und von den Vereinten Nationen entsandte Juristen zusammenarbeiten, dem Antrag der Staatsanwälte, indem es das Höchstmaß lebenslanger Haft verhängte. Eine weitere Instanz gibt es nicht. Der 69-jährige Ex-Gefängnischef "Dutch" wird den Rest seines Lebens hinter Gittern verbringen.

Allerdings ist darüber hinaus nicht viel passiert: Mehr als 30 Jahre nach dem Ende der Schreckensherrschaft Pol Pots, der rund zwei Millionen Menschen zum Opfer gefallen waren, und sechs Jahre nach Beginn des Rote-Khmer-Tribunals steht bislang nur ein einziges Urteil fest.

Prozess gegen ranghöchste Führer läuft

Ein zweiter Prozess läuft seit November 2011. Darin müssen sich die drei ranghöchsten, noch lebenden Führer der Roten Khmer verantworten: Chefideologe Nuon Chea, der damalige Außenminister Ieng Sary sowie Khieu Samphan, Staatsoberhaupt des "Demokratischen Kampuchea", wie sich der Staat von 1975 bis 1979 nannte.

Den Angeklagten werden Kapitalverbrechen wie Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen. Das Verfahren gegen sie wird jedoch durch politische Querelen, Streit zwischen internationalen und kambodschanischen Beteiligten und akute Geldnot des Gerichts erschwert.

Dass es zu Anklagen in weiteren Fällen kommt, hält kaum noch jemand für realistisch. Die Regierung in Phnom Penh ist strikt dagegen, wie sie wiederholt deutlich gemacht hat. Auch wegen dieser politischen Einflussnahme ist der deutsche Untersuchungsrichter Siegfried Blunk im Oktober zurückgetreten. Jetzt weigert sich Kambodscha – ungeachtet der Appelle der Vereinten Nationen – seinen designierten Nachfolger einzusetzen, den Schweizer Richter Laurent Kasper-Ansermet. Dieser hatte bereits öffentlich angekündigt, in weiteren Fällen ermitteln zu wollen.

Glaubwürdigkeit gefährdet

In den Augen vieler Betroffener ist die Glaubwürdigkeit des Tribunals stark gefährdet. Die prominente Opfervertreterin Theary Seng bezeichnete das Tribunal als "politische Farce". Sie hat sich bereits im November aus Protest von der Nebenklage zurückgezogen. Die Vereinten Nationen forderte sie nun auf, es ihr gleichzutun.

Schon jetzt ist die internationale Gemeinschaft kaum mehr bereit, das Rote-Khmer-Tribunal zu finanzieren. Die rund 300 einheimischen Mitarbeiter haben seit Oktober 2011 kein Gehalt mehr bekommen. Dieses finanziert Kambodscha aus Spenden von Geberländern, zu denen auch Deutschland gehört. Die ausbleibenden Gehaltszahlungen hätten alle nationalen Mitarbeiter demoralisiert, teilte das Gericht mit.

Bis Ende 2011 hatte das Tribunal rund 150 Millionen US-Dollar verschlungen, dreimal so viel Geld wie ursprünglich veranschlagt. Und es läuft auch schon doppelt so lange: Als es 2006 seine Arbeit aufnahm, war ein Zeitrahmen von drei Jahren vorgesehen. Die Länge der Verfahren treibt nicht nur die Kosten in die Höhe und strapaziert die Geduld der Betroffenen. Es besteht auch die Sorge, dass nicht alle Beschuldigten das Ende des Prozesses erleben. Sie sind meist über 80 Jahre alt und in angeschlagenem Gesundheitszustand. Die frühere Sozialministerin Ieng Thirith, die ebenfalls zu den Angeklagten gehörte, wurde bereits aufgrund ihrer Alzheimer-Erkrankung für verhandlungsunfähig erklärt.

"Völkermordtribunal" ohne Völkermordurteil

Um im laufenden Prozess in absehbarer Zeit überhaupt zu einem Urteil zu kommen, hat das Gericht eine Aufteilung beschlossen. Gegenstand des ersten Verfahrens sind nun lediglich die ersten beiden Zwangsumsiedlungen der Bevölkerung in den Wochen nach der Machtergreifung der Roten Khmer im April 1975 und von Ende 1975 bis Mitte 1976.

Alle anderen Anklagepunkte, darunter Folter und Ermordung in sämtlichen Gefängnissen, Zwangsarbeit, religiöse Verfolgung, Zwangsehen und Genozid, fallen hier erst einmal heraus. Viele Beobachter fürchten, dass das laufende Verfahren zugleich das letzte am Rote-Khmer-Tribunal sein könnte. Dann würde das unter dem Namen "Völkermordtribunal" bekannte Gericht ohne eine Verurteilung wegen Völkermordes enden.